Die Auseinandersetzung „biologisches versus soziales Geschlecht“ Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Bis jetzt keine Freude, hier zu sprechen. Ich hoffe, dass wir bei dem Thema noch etwas retten können. Über fast ein halbes Jahr hat die AfD das Thema, zumindest den Titel, dreimal aufgesetzt und zurückziehen lassen. Und dann gestern um 21.40 Uhr – jawohl – kam doch schon der Text des Antrags, und zwar als Vorabfassung. Es gibt, glaube ich, bis jetzt keine endgültige Fassung. Was lange währt, Herr Kollege, ist trotzdem schlecht. Sie haben mich wirklich enttäuscht. Von einem Germanisten und Philosophen hätte ich mehr erwartet. Es ist offensichtlich, dass Sie Schwierigkeiten hatten, Ihr Sammelsurium verschiedener Ideen niederzuschreiben, Ideen, die nicht zusammenpassen und nur eines gemeinsam haben, dass sie nicht zusammenpassen. Erwartungsgemäß landen Sie wieder da, wo es zu erwarten war, nämlich beim Herabsetzen der Bemühungen um mehr Chancengerechtigkeit für Frauen, und das nehme ich persönlich. Sie landen bei Kampfbegriffen und den üblichen Buzzwords. Dafür gehen Sie den Weg über einzelne, sehr bedauerliche Verfehlungen bei der Sexualerziehung in Kindergärten und Schulen, die Sie verallgemeinern, diskreditieren Bildungspläne der Länder und landen bei der Projektvergabe in der Forschung, mit einem Finanzierungsverbot für Projekte über den Unterschied der Geschlechter und die Folgen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, so spricht eine Männerpartei. Immerhin haben Sie in Ihrem Antrag eine gewisse Lernkurve hingelegt: Sie gestehen sogar zu, dass Genderforschung auch in Ihren Augen notwendig ist, etwa in der Medizin und der Pharmazie. Da schau her! Das ist in erster Linie Herrn Professor Wick aus Heidelberg vom Wissenschaftsrat zu verdanken – schöne Grüße! –, der Ihnen die Notwendigkeit der Genderforschung bei der Wissenschaftsausschusssitzung in der vergangenen Woche ausführlich und mehrmals dargelegt hat. Da fiel bei Ihnen übrigens sichtbar und hörbar der Groschen. Wissenschaft ist also Teil der Lösung, nicht – wie Sie es dauernd darstellen – Teil des Problems. Die Freiheit der Wissenschaften ist uns sehr wichtig, auch wenn diese Freiheit übrigens immer schon auch mal seltsame Blüten treiben kann, im Übrigen jedes Wissenschaftsthema und zu jeder Zeit, wie ich gesehen habe: Letztes Wochenende habe ich bei mir aufgeräumt und 35 Jahre alte Uniaufschriebe entsorgt. Und ich war nicht auf alles stolz, was ich da mitnotiert habe. Wissenschaft muss auch die Frage nach der angemessenen und altersgerechten Sexualaufklärung in Schulen und Kindergärten beantworten und Politik und Schulverwaltungen beraten. Das sind unsere Erwartungen. Ihr Antrag bewegt sich unentschlossen zwischen Bekanntem und Bekanntem. Warum befassen wir uns heute eigentlich damit? Weil Sie eigentlich mit dem Selbstbestimmungsgesetz der Ampel gerechnet haben? Um das „biologische Geschlecht“ vollends zu einem Kampfbegriff zu machen und dem geistigen Bürgerkrieg auf diesem Gebiet weitere Munition zu geben? Unstreitig ist: Die Ampel unternimmt eine komplett neue Definition des Geschlechts. wird im entsprechenden Entwurf komplett zugunsten des sozialen entschieden. Die AfD wiederum entscheidet sich komplett für das biologische und verneint dabei die besonderen Bedingungen des sozialen Geschlechts und der Rollenzuschreibungen. Mit Sorge sehen wir, wie die gesellschaftspolitischen Positionen von Grünen und Blau-Braunen sich gegenseitig bedingen. Und jetzt sollen wir heute also über Ihr Stöckchen springen, in ein paar Wochen dann über das grüne Stöckchen? Eine fragwürdige Vorgehensweise! Wir haben es heute im Wesentlichen mit einem Aufgalopp zu einer großen gesellschaftspolitischen Debatte zu tun. Die erste Lesung des Selbstbestimmungsgesetzes ist für die Sitzungswoche ab dem 13. November geplant. Wir können nur an Sie, die Ampel, appellieren, ein pragmatisches Vorgehen an die erste Stelle zu setzen, statt Chaos für alle zu produzieren, also die personenstandsrechtlichen Grundlagen bei dieser Reform beizubehalten. Wir appellieren an die Ampel, die legitimen und schutzwürdigen Interessen von Frauen nicht preiszugeben. Denn genau hier kommen Ampel und AfD zusammen. Die AfD hat es geschafft, die Genderforschung zu diskreditieren und die Welt in Befürworter und Gegner zu spalten. Wir plädieren für eine Versachlichung und für die Notwendigkeit, Gleichstellung mit den richtigen, wissenschaftlich begründeten Maßnahmen zu hinterlegen. Die Genderforschung muss auch soziale Folgen des biologischen Geschlechts beleuchten. Das wollen wir mit all denen, die Gleichstellung und Chancengerechtigkeit wollen, weiter voranbringen. Dazu braucht es mehr Wissenschaftlichkeit und nicht weniger. Wir werden Ihren Antrag natürlich ablehnen. Unterm Strich bringt so was einfach nichts. Danke.