Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich den Antrag der Union las, da war es wie ein Déjà-vu: Morgen haben wir hier die dritte Lesung des Pflegestudiumstärkungsgesetzes auf der Tagesordnung, und kurz vor dem damaligen Gesetzgebungsverfahren legte die Union einen Antrag zur Stärkung des Pflegestudiums vor, obwohl sie selber vorher von der hochschulischen Pflegeausbildung gar nichts wissen wollte.
Das stimmt doch gar nicht! Das stimmt einfach nicht!)
Und jetzt wieder das gleiche Spiel: Noch für dieses Jahr ist ein erster Regierungsentwurf für ein neues Physiotherapeutengesetz angekündigt, und Sie legen einen Schaufensterantrag vor.
Kaum bringen wir einen Antrag, behauptet ihr immer, ihr habt schon alles gemacht! Das ist ja lächerlich! Peinlich!)
Das ist so ein durchschaubares Hase-und-Igel-Spiel, muss ich sagen: Sie wollen den Leuten suggerieren, immer schneller zu sein als der Gesundheitsminister.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP
So schaut’s aus!
Ja! So ist es auch!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, ich hätte mich sehr gefreut, Sie hätten diese Schnelligkeit auch an den Tag gelegt, als die Union noch den Gesundheitsminister stellte. Nach der ersten rundweg positiven Auswertung der 2009 eingeführten Modellversuche hätten Sie nämlich ab 2013 unter Minister Gröhe die Berufsgesetze novellieren können.
Haben wir ja gemacht!
Gegenruf von der SPD: Nee! Eben nicht!)
Aber nichts ist geschehen: Am Ende der Wahlperiode wurden einfach nur die Modellklauseln verlängert. Auch unter Gröhes Nachfolger Jens Spahn ist nichts weiter geschehen, außer die Modellklauseln zu verlängern.
Beifall bei der SPD)
Sogar für satte zehn Jahre wollten Sie dieses wichtige Berufsgesetz auf die lange Bank schieben, hätte die SPD damals nicht mit Mühe die Hälfte der Zeit durchgesetzt. Sie schreiben „Evolution statt Revolution“ im Titel Ihres Antrags. Ich stelle aber fest: Unter zwei Gesundheitsministern der Union hat es statt Evolution nichts als Stillstand gegeben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Jetzt wird Minister Karl Lauterbach in den nächsten Wochen den ersten Entwurf eines Berufsgesetzes vorlegen, das dann 2025 in Kraft treten wird, und diesen Zeitplan beschließen wir morgen mit dem Pflegestudiumstärkungsgesetz. Ich lade Sie alle ein, konstruktiv mitzuarbeiten.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Denn so weit liegen unsere Vorstellungen ja gar nicht auseinander. In Ihrem Antrag lese ich durchaus viele sinnvolle und vernünftige Vorschläge. Auch wir wollen natürlich das Berufsbild „Masseur/-in und medizinische/-r Bademeister/-in“ erhalten, das mit Hauptschulzugang und vor allem für blinde, für sehbehinderte und für hörgeschädigte Menschen einen wichtigen Einstieg in die Physiotherapie bildet. Das stand für uns nie außer Frage.
Für Lauterbach schon!)
Aber klar ist: Auch dieses Berufsbild darf nicht auf dem Stand von vor 20 Jahren stehen bleiben, und natürlich muss es im Sinne der vertikalen Durchlässigkeit eine entsprechende Durchstiegsoption in die dreijährige originäre Physiotherapieausbildung geben, sei sie nun fachschulisch oder hochschulisch. Da müssen Sie uns als SPD ganz bestimmt nicht katholisch reden.
Klar ist auch: An einer Teilakademisierung kommen wir nicht vorbei, übrigens auch dann nicht, wenn man die Ausbildung vollständig auf die Hochschule verlagern würde, wofür es auch Argumente gäbe. Fakt ist aber doch: Die Länder können die dann benötigte Anzahl der Studienplätze ja gar nicht sofort einrichten und finanzieren, und es gibt auch nicht genügend Dozenten und Lehrende; sie müssten erst nach und nach ausgebildet werden.
Eine vollständige Akademisierung wäre also ein sehr langwieriger Prozess über zwei oder gar drei Jahrzehnte, in denen zwangsläufig immer schulische und hochschulische Ausbildung parallel laufen würde, also faktisch eine Teilakademisierung. Aber die Länder – das hat ja im Sommer auch der Bund-Länder-Gipfel gezeigt – haben sich sowieso ausnahmslos gegen eine Vollakademisierung ausgesprochen, und damit ist das Thema vom Tisch, anders – das hat Frau Zeulner richtig gesagt – als zum Beispiel in der Logopädie, wo die hochschulischen Strukturen schon jetzt viel ausgeprägter sind und wo es sich um eine viel kleinere Berufsgruppe handelt.
Ich denke, es wird schon ein Kraftakt für die Länder sein, ausreichend Studienplätze für den Anteil von 10 bis 20 Prozent hochschulisch ausgebildeter Physiotherapeuten zu schaffen, die der Wissenschaftsrat ja seinerzeit als Empfehlung ausgegeben hat. Aber den dringend benötigten Berufsnachwuchs in der Physiotherapie werden wir nur gewinnen, wenn wir auch Angebote für Interessenten mit Abitur oder Hochschulzugangsberechtigung haben.
Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Christine Aschenberg-Dugnus [FDP])
Dazu gehört übrigens auch der Direktzugang, den Sie zu Recht in Ihrem Antrag ansprechen und den wir für die Zukunft dann vor allem für die Versorgung im ländlichen Raum dringend benötigen.
Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Der damit verbundene Kompetenz- und Verantwortungszuwachs würde in Verbindung mit einem modernen, zeitgemäßen Berufsgesetz, mit Weiterbildung auf Masterniveau und mit Integration des Zertifikatesystems genügend Anreize für junge Menschen bieten, sich für die Physiotherapie zu entscheiden. Mit einem der kommenden Versorgungsgesetze werden wir daher auch den Direktzugang modellhaft erproben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Gesetz über die Berufe in der Physiotherapie aus den 1990ern ist ein Kind des letzten Jahrhunderts; es gehört dringend entstaubt. Ich begrüße ausdrücklich, dass die Union auch ihre Haltung zu dieser notwendigen Reform sozusagen entstaubt hat, und freue mich, mit Ihnen im Gesundheitsausschuss weiterzudiskutieren.
Vielen Dank.
Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Axel Müller [CDU/CSU])
Für die AfD-Fraktion hat das Wort Dr. Christina Baum.
Beifall bei der AfD)