- Bundestagsanalysen
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 14. Dezember 2022 haben wir als Unionsfraktion den Antrag „Geschäftsbeziehungen im Bankenverkehr auch in Zukunft rechtssicher gestalten“ hier in den Bundestag eingebracht. Grund dafür war das vom Vorredner erwähnte Urteil des Bundesgerichtshofs; in ihm erklärte der XI. Senat des Bundesgerichtshofs eine jahrzehntelange Praxis bei der Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen für rechtswidrig. Es ging um Geschäftsbedingungen der Banken.
Bis dahin galt eine Zustimmung des Kunden zu AGB-Änderungen dann als erteilt, wenn der Kunde nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist widersprochen hat; das war die Zustimmungsfiktionsklausel. Es herrschte die Rechtsmeinung, dass diese Praxis durch § 675g BGB, den der Vorredner erwähnt hat, gedeckt sei. Nach dieser Norm stimmt der Kunde einer Vertragsänderung zu, wenn er der Bank nicht innerhalb eines vereinbarten Zeitraums seine Ablehnung angezeigt hat. Der Bundesgerichtshof sah in dieser Zustimmungsfiktionsklausel in dem erwähnten Fall, bei dem es um eine wesentliche Änderung der Vertragsgrundlagen ging, eine einseitige Benachteiligung der Kunden.
Die negativen Folgen der BGH-Entscheidung möchte ich erwähnen, und zwar für Bank und Kunden: Alle über die Zustimmungsfiktionsklausel zustandegekommenen Vertragsänderungen seit Einführung der AGB im Jahre 1977 sind obsolet. Millionen von Kundenbeziehungen müssen einzeln geprüft werden; Millionen von Kunden müssen jetzt bei jeder noch so kleinen Vertragsänderung einzeln angeschrieben und um ausdrückliche Zustimmung ersucht werden.
Viele Kunden verstehen das gar nicht. Sie reagieren auch nicht, und das führt dazu, dass die Bank ihre Geschäftsbeziehung kündigt. Für den Kunden ist dieser Wegfall des Girokontos oftmals existenzbedrohend. Man bedenke nur: Das Gehalt kann nicht mehr abgehoben werden, die Miete wird nicht mehr bezahlt, die Daueraufträge werden nicht mehr eingelöst. Daher muss der Gesetzgeber für Abhilfe sorgen. Es wäre schön, wenn die Ampelkoalition mit ihrer Mehrheit hier tätig würde und nicht nur Ankündigungen machte, wie auch heute wieder vom Kollegen Lieb so getan.
Beifall bei der CDU/CSU)
Die Sachverständigenanhörung zu unserem Antrag, die am 29. März 2023 stattgefunden hat, ergab wesentliche neue Erkenntnisse. Auf deren Grundlage haben wir unseren ursprünglichen Antrag erheblich abgeändert. Wir haben, wie schon erwähnt, einen Gesetzentwurf formuliert, und zwar am 20. Juni 2023. Darin haben wir § 675g BGB neu gefasst. Es bleibt unbenommen, alle Dauerschuldverhältnisse damit zu erfassen. Es ist doch so, dass wir in diesem Fall tätig geworden sind, weil Sie trotz der bekannten Problematik seit über einem Jahr nichts gemacht haben – nicht mal in diesem einen einzigen Fall –, obwohl Sie schon seit zwei Jahren regieren.
Beifall bei der CDU/CSU)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche mir, dass ein solcher Gesetzgebungsprozess öfter abläuft wie dieser, und zwar deshalb, weil wir aus der Expertise der Sachverständigen in dieser Anhörung, die ich erwähnt habe, Erkenntnisse gewonnen haben, die wir in unserem Gesetzentwurf berücksichtigt haben. Oftmals verkommen diese Anhörungen nach meiner Einschätzung zu einem bloßen formalen Akt. Unser Gesetzentwurf nimmt auch die uns überzeugenden Ausführungen des von der SPD benannten Sachverständigen nahezu eins zu eins auf, weil wir ihn für überzeugend gehalten haben. Somit müsste heute eigentlich zumindest die SPD-Fraktion als Teil der Ampelkoalition unserem Gesetzentwurf zustimmen.
Wir haben uns an von Bundesgerichtshof und den Sachverständigen vorgegebenen Leitlinien orientiert und haben gesagt: Eine neue AGB-Klausel darf keine einseitige, nicht eingrenzende Änderungsbefugnis des Verwenders bewirken. Wesentliche die Grundzüge des Vertragsverhältnisses berührende Änderungen müssen entsprechend erfasst sein. Es bedarf der ausdrücklichen Zustimmung des Kunden, wenn es solche Vertragsänderungen betrifft. Ein gesetzlich vorgegebener Zeitpunkt, ab dem eine Vertragsänderung gilt, sorgt für Rechtssicherheit. Wir haben eine gesetzliche Fiktion von sechs Monaten eingebaut. Wenn der Kunde sechs Monate lang trotz der Vertragsänderung das Geschäftsverhältnis weiterführt, ohne es zu beanstanden, hat das keine negativen Folgen. Und die gerichtliche Inhaltskontrolle nach § 307 BGB, die der Kollege Vorredner erwähnt hat, oder der AGB-Richtlinie bleibt ausdrücklich erhalten.
Das sind die neuen Kautelen von § 675g BGB; so haben wir ihn entsprechend umformuliert. Das bedeutet: Wir haben eine ausgewogene Lösung gefunden, die den Interessen von Kunden und Bank gleichermaßen gerecht wird. Ich werbe daher um Ihre Zustimmung für einen ersten Schritt, der in die richtige Richtung geht. Es bleibt Ihnen überlassen, dann für weitere Dauerschuldverhältnisse Ihrer Verpflichtung als Ampelkoalition nachzukommen und die entsprechenden gesetzlichen Grundlagen zu schaffen.
Danke schön.
Beifall bei der CDU/CSU)
Vielen Dank, Herr Kollege Müller. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Luiza Licina-Bode für die SPD-Fraktion.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Philipp Hartewig [FDP])