Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das, was wir hier in dieser Debatte erleben, ist die vollendete Realitätsverweigerung. Machen Sie sich doch mal mit den Gegebenheiten vertraut! Wir sehen doch jeden Tag, wie Menschen an den Küsten Italiens und Lampedusas anlanden. Und sie bleiben dort nicht; sie ziehen nach Norden. Die Behörden und die Regierung in Rom sind weder imstande noch sind sie willens, Asylanträge dort zu bearbeiten. Die Folge ist, dass bis zum 31. August dieses Jahres mehr als 220 000 Asylanträge in Deutschland gestellt worden sind. Und wenn ich diesen Trend extrapoliere, dann bedeutet das, dass wir bis zum Jahresende zwischen 350 000 und 400 000 Asylanträge in Deutschland haben werden. Es grenzt doch an Realitätsverweigerung, wenn Sie hier den Eindruck erwecken, Frau Göring-Eckardt, als wäre das alles eine Frage des Geldes. Nein, es ist nicht in erster Linie eine Frage des Geldes, sondern es ist eine Tatsache, dass die Infrastruktur in Deutschland in ihrer Breite auf Zuzug in dieser Größenordnung nicht vorbereitet ist. Das ist die Realität. Hören Sie Ihren eigenen Kommunalpolitikern zu! Wir haben sie am 30. März hierher, in den Bundestag, eingeladen: 400 Bürgermeister und Landräte aller Parteien aus dem ganzen Land. Sie haben uns eindrucksvoll gezeigt, woran es mangelt: Es mangelt an Wohnraum, an Kitaplätzen, an Schulen, in der medizinischen Versorgung. Das sind Ihre Themen, die Sie nicht bearbeitet bekommen. Und das lösen Sie nicht kurzfristig mit mehr Geld, sondern das lösen Sie mit Ordnung, Steuerung und Begrenzung von Migration. Sie aber waren diejenigen, die in diesem Sommer das Wort „Begrenzung“ aus § 1 des Aufenthaltsgesetzes gestrichen haben. Sie wollen keine Lösung. Ja, selbstverständlich. Verehrte Frau Göring-Eckardt, ja, Ordnung und Humanität gehören zusammen, das stimmt. Aber ansonsten scheinen Sie nichts verstanden zu haben. Werfen Sie mal einen Blick in den Bundeshaushalt! Da steht drin, dass wir in den letzten Jahren Jahr für Jahr etwa 25 Milliarden Euro für das Thema Migration aufgewendet haben. Es gibt kein zweites Land auf der Erde, das so viel zur Bekämpfung der Migration, zur Ordnung der Migration, zur Aufnahme von Schutzbedürftigen, zur Bekämpfung von Fluchtursachen ausgibt wie Deutschland. Ich will es Ihnen ganz klar sagen: Nein, ich bestreite die Versäumnisse, die Sie ansprechen. Ich bin der Auffassung, dass wir nicht jährlich zwischen 400 000 und 700 000 Menschen im Wege der humanitären Migration in Deutschland aufnehmen können, und deswegen kann man dafür weder Strukturen schaffen, noch wäre das wünschenswert. Beschäftigen Sie sich mit der Realität! Es geht nicht darum, dass wir uns nur mit diesem einen Thema beschäftigen, sondern es geht darum, dass wir auch für die Aufnahmegesellschaft in Deutschland und die Aufnahmegesellschaften in Europa Verhältnisse schaffen, in denen Integration möglich ist und es nicht zum Ausbilden von Parallelgesellschaften kommt. Das wäre die Folge Ihrer Politik, und das lehnen wir ab. Deswegen wird es auf der Basis Ihrer Vorschläge mit Sicherheit keine Verständigung mit uns geben können. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesregierung tut exakt das Gegenteil von dem, was notwendig wäre. Die Innenministerin hat die Chuzpe, sich hierhinzustellen und zu sagen, sie hätte einen klaren Kurs in der Migrationspolitik. Ja, sie hat einen klaren Kurs, aber in die falsche Richtung, verehrte Frau Faeser. Was haben Sie in Ihrer Regierungszeit denn gemacht? Sie haben ein Bleiberecht für abgelehnte Asylbewerber geschaffen. Sie führen nicht zurück; die Zahlen sind so niedrig wie nie zuvor. Sie ermöglichen den Spurwechsel. In zwei Jahren haben Sie die Sozialleistungen um 25 Prozent erhöht. Sie machen immer das Gegenteil von dem, was notwendig ist. Und jetzt spekulieren Sie noch darüber, dass Sie zwar nicht jetzt, aber in Zukunft den Familiennachzug erleichtern möchten. Das ist doch das Gegenteil von dem, was notwendig und richtig wäre, liebe Kolleginnen und Kollegen. Und dann feiern Sie sich dafür, dass Sie die erste und einzige Innenministerin wären, die jemals auf europäischer Ebene an einer Verbesserung der Verhältnisse mitgewirkt hätte. Ich will Ihnen sagen: Es ist ein magerer Kompromiss auf europäischer Ebene gewesen, der noch lange nicht europäisches Recht ist. Dieser Kompromiss wäre viel besser gewesen, wenn Sie nicht beteiligt gewesen wären, Frau Faeser. Sie sind der Grund dafür, warum es keine bessere Verständigung auf europäischer Ebene gegeben hat. Und jetzt tun Sie alles dafür, dass dieser Kompromiss auch noch hintertrieben wird. Das ist das Gegenteil von dem, was notwendig ist. Deswegen haben wir mal sehr klar aufgeschrieben, was man jetzt sehr schnell und sehr unmittelbar tun müsste. Jetzt müsste man tatsächlich mehr sichere Herkunftsstaaten schaffen. Man müsste mehr Sachleistungen, weniger Geldleistungen gewähren. Man müsste dafür sorgen, dass wir den Grenzschutz in Deutschland und in Europa gewährleisten können. Es gibt so viele Möglichkeiten, die Sie umsetzen könnten. Aber Sie können es nicht, Frau Innenministerin. Und weil Sie überfordert sind, stelle ich mir die Frage – nicht nur heute Morgen –: Wo ist eigentlich der Herr Bundeskanzler? Das frage ich mich wirklich. In einer Krise, wie wir sie jetzt haben, müsste der Bundeskanzler sich doch an die Spitze der Bewegung stellen, zusammen mit Emmanuel Macron, zusammen mit Ursula von der Leyen. Aber er hat hier im Deutschen Bundestag keine einzige Rede gehalten, in der er sich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt hätte. Es gibt keine einzige internationale Verhandlung, die er dazu geführt hätte. Es gibt keinen einzigen politischen Vorstoß des Bundeskanzlers. Der Bundeskanzler ist Schlafwandler, und er delegiert diese wichtige Herausforderung an eine Ministerin, die es ganz offensichtlich nicht kann und mit dem Kopf eher in Wiesbaden als in Berlin ist. Herzlichen Dank.