Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Gott, was bin ich froh, Herr Baumann, wenn ich Sie reden höre, dass wir ein Land haben, das vielfältig ist, das offen ist, in dem Werte zählen, in dem Liberale, Konservative, Fortschrittliche gemeinsam an den guten Sachen arbeiten wollen und das nicht diese Telegram-Verschwörungsideologie verfolgt, die Sie hier auf den Tisch legen. Aber ich will gern zum Thema reden und sagen: Viele Kommunen in Deutschland vollbringen gerade wieder einen enormen Kraftakt. Ich bin Ihnen sehr dankbar dafür: den Ehrenamtlichen, aber natürlich auch den Hauptamtlichen in den Behörden, bei den kommunal Verantwortlichen. Aber Dankbarkeit alleine reicht natürlich nicht. Einige von ihnen stehen gerade wieder vor extrem hohen Belastungen: Schul- und Kitaplätze, bezahlbare Wohnungen fehlen. Ja, es sind 1 Million Ukrainerinnen und Ukrainer zu den übrigen Geflüchteten hinzugekommen. Wir stehen dazu, wir wollen das. Aber wer kleinredet, dass es Schwierigkeiten gibt, der hilft weder den Kommunen, noch hilft er den Geflüchteten. Die Realität anerkennen, meine Kolleginnen und Kollegen, das heißt: Soforthilfe. Zuallererst brauchen die Kommunen genügend Geld, um die Strukturen vorzuhalten und aufrechtzuerhalten, die jetzt notwendig sind. Zweitens. Wir müssen dafür sorgen, dass die Verfahren schneller bearbeitet werden, dass der Status für viele Geflüchtete so schnell wie möglich geklärt wird. Drittens. Das Chancen-Aufenthaltsrecht wirkt. Zum ersten Mal seit vielen Jahren ist die Zahl der Ausreisepflichtigen zurückgegangen, weil diese Menschen in Arbeit sind, weil sie überall helfen, wo es geht, und übrigens auch in die Sozialsysteme einzahlen, meine Damen und Herren. Die Realität anerkennen heißt aber auch, endlich langfristig zu denken und vorbereitet zu sein. Ich weiß – und das schätze ich sehr –, dass Sie von der Union nach 2015 ausdrücklich gemeinsam mit uns anerkannt haben: Wir waren damals auf diese Situation nicht vorbereitet. Wir haben nicht erkannt, dass die Krisenherde längst da waren. Wir hätten wissen können, dass mehr Geflüchtete kommen. Wir hätten uns vorbereiten sollen. Diesen Fehler von damals dürfen, den sollten wir nie wieder machen. Wir brauchen Vorbereitung, wir brauchen Strategien, wir müssen strukturell dafür sorgen, dass die Kommunen in unserem Land so arbeiten können, dass auch dann, wenn mehr Menschen kommen, noch menschenwürdige Unterbringung da ist und die Kommunen nicht ächzen, weil von allem zu wenig vorhanden ist, meine Damen und Herren. Diese Planbarkeit ist der Grund für alles, was wir in Zukunft organisieren müssen. Ja. Vielen Dank für diese Frage, Herr Kollege, weil sie mir Gelegenheit gibt, auf das einzugehen, was die Realität und was die tatsächlichen Probleme vor Ort sind. Sie haben Herrn Scherf angesprochen. Sie könnten auch lesen, was die Oberbürgermeister vieler Kommunen gesagt haben. Vielleicht haben Sie auch gelesen, was der Gemeinde- und Städtetag gesagt hat. Sie alle haben nämlich sehr deutlich gesagt: Was wir für diese Strukturen brauchen, sind finanzielle Mittel. – Und ja, ich sage sehr klar und sehr eindeutig: Diese finanziellen Mittel müssen zur Verfügung gestellt werden. Das Zweite, was der Gemeinde- und Städtetag gesagt hat, übrigens auch vier Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister, die ebenfalls meiner Partei angehören: Was notwendig ist, ist tatsächlich Planbarkeit für die Zukunft. Wir können nicht so tun – und das atmet leider der Katalog, den Sie vorgelegt haben –, als ob wir mit allen möglichen Maßnahmen, die gut klingen, das Problem tatsächlich lösen würden. Nein, wir lösen es, wenn wir klarmachen: Wir sind ein Einwanderungsland. Wir sind ein Land für Migration. Wir sind ein Land, in dem – ich hoffe, da sind Sie dabei – das individuelle Recht auf Asyl gilt. Wir sind ein Land, in dem man keine Obergrenzen festlegt, aber gerne Richtwerte, worauf wir uns vorbereiten müssen. Dieses Land sollten wir sein, dieses Land wollen wir sein. Dazu gehört vor allen Dingen – darauf will ich jetzt gleich auch eingehen –, dass wir Menschen so schnell wie möglich in Arbeit bringen und ihnen eine Wohnung anbieten und damit dafür sorgen, dass sie selbstständig in unserem Land leben können, ohne darauf angewiesen zu sein, in Erstaufnahmeeinrichtungen zu sein. Das ist der Schlüssel. Wir haben mit dem Chancen-Aufenthaltsrecht bereits gezeigt, dass es funktioniert; darüber hatte ich ja gerade gesprochen. – Vielen Dank. Natürlich müssen, damit das alles funktioniert, auch die Verfahren beschleunigt werden. Natürlich müssen wir dafür sorgen, dass es Resettlement gibt, dass wir eine gemeinsame europäische Lösung hinbekommen. Anders wird es nicht gehen, darauf sind wir angewiesen, und darüber sollten wir uns auch immer wieder klar sein. Wir brauchen faire Migrations- und auch Rückführungsabkommen. Deswegen haben wir zum ersten Mal einen Beauftragten dafür. Das hatten wir in all den vergangenen Jahren übrigens nicht, meine Damen und Herren. Wir brauchen Ordnung, ja; aber wir brauchen eben auch Humanität. Meine Damen und Herren, wir leben in einem Land, das für seine Werte steht und das mit seinem Grundgesetz dafür sorgt, dass das Grundrecht auf Asyl selbstverständlich ist. Das ist die Lehre aus unserer Geschichte, in doppelter Weise, nämlich nach 1945, aber auch nach 1989. Auch diese Lehre müssen wir ziehen, dass Menschen, die Asyl beantragen, bei uns einen fairen Prozess bekommen, eine faire Bearbeitung ihrer Anträge bekommen. Ja, schnell; ja, ordentlich und bitte rechtsstaatlich. Aber tun wir bitte nicht so, als ob wir das anders machen könnten. – Nein, ich habe daran keinen Zweifel; darauf will ich gerne eingehen. Aber Sie haben ja inzwischen schon in verschiedener Weise zur Kenntnis gegeben, dass Sie eigentlich das individuelle Recht auf Asyl nicht mehr wollen, Herr Spahn. Deswegen sage ich ganz klar: Das sehen wir anders. Wir halten es für ein Gebot unseres Grundgesetzes und selbstverständlich des Völkerrechts, dies aufrechtzuerhalten, meine Damen und Herren. Deswegen: Es geht in unserem Land um Respekt; es geht in unserem Land um Zusammenhalt und Zusammenleben. Sie können doch nicht erklären: Was ist mit dem 200 001.? Auch deswegen kann es keine Obergrenze geben. Sie können doch auch nicht erklären, wie sich jemand hier eigentlich integrieren soll, dem wir sagen: Nein, deine Familie kann nicht nachgeholt werden. – Das ist ein massives Integrationshemmnis. Deswegen sage ich: Nein, das wird nicht funktionieren. Schließlich und zum Schluss. Jedes Jahr in den nächsten 30 Jahren brauchen wir 400 000 Menschen, die bei uns arbeiten. Deswegen brauchen wir auch Antworten, die wirtschaftlich vernünftig sind. Es gibt in diesem Land unzählige Unternehmen. Jedes zweite sagt uns: Wir sind froh, wenn wir Geflüchtete einstellen können. Da geht es nicht um die imaginäre Fachkraft, die wir vielleicht nach Deutschland holen können. Es geht darum, diejenigen, die längst hier sind, die als Geflüchtete gekommen sind, einzustellen: in der Bäckerei, im Hotel, bei der Gastro. Heute Nacht wurde über Lkw-Fahrer und -Fahrerinnen gesprochen. Ja, genau darum geht es. Es sind nicht zwei getrennte Themen. Wir können nicht auf der einen Seite anwerben wollen und auf der anderen Seite abgrenzen. Das funktioniert nicht. Das gehört zusammen. Denjenigen, die möchten, dass Menschen nach Deutschland kommen, um hier zu arbeiten, muss man auch klar sagen: Ja, wir sind ein Land, das dafür offen ist. Wir brauchen Ordnung. Wir brauchen einen Blick auf die Chancen, meine Damen und Herren; aber wir sollten nicht vergessen, dass das Zentrale, wenn es um Menschen in Not geht, die Menschlichkeit ist. Herzlichen Dank.