Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „... ein Viertel aller Viertklässler in Deutschland erreicht nicht den internationalen Mindeststandard beim Lesen.“ So zitieren Sie in Ihrem Antrag. Das darf kein Schulterzucken auslösen; denn die Fähigkeit, zu lesen, determiniert wie wenig anderes den Lebensweg: Wie soll ein Kind, das in der vierten Klasse nicht lesen kann, die Schule bestreiten? Wie soll es einen Abschluss machen, eine Ausbildung, ein Studium bewältigen? Wie soll es unabhängig vom Staat und selbstbestimmt seinen Lebensweg gehen? Und wie soll Deutschland als viertgrößte Volkswirtschaft der Welt den Wohlstand erhalten, wie sollen wir erfolgreich sein, wenn die Leistungsträger unserer Gesellschaft, die Arbeits- und Fachkräfte von morgen – das sind diejenigen, die heute in der vierten Klasse sind, in 10 bis 15 Jahren –, grundlegende Kulturtechniken nicht beherrschen? Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und Wohlstand hängen davon ab, wie wir heute Arbeitnehmer und Unternehmen steuerlich entlasten, wie wir bezahlbare Energie sicherstellen, Start-ups und Forschung fördern und den Bürokratiedschungel lichten. Es hängt aber vor allem davon ab, wie wir jedem Einzelnen die Chance auf exzellente Bildung und gesellschaftlichen Aufstieg ermöglichen. Meine Damen und Herren, ich komme zurück auf die IGLU-Studie. Es ist mitnichten so, dass in jeder Klasse in Deutschland ein Viertel nicht lesen kann, sondern eine aktuelle Analyse der Wübben Stiftung Bildung zeigt: Es sind die Schulen in sozialen Brennpunkten, wo die Hälfte und mehr Kinder diese Mindeststandards im Lesen, Schreiben und auch Rechnen nicht erreichen. Mir ist ganz wichtig: Es geht nicht darum, diese Schulen an den Pranger zu stellen – im Gegenteil. Die Lehrkräfte und übrigens auch die Kinder dort stehen vor massiven Herausforderungen. Ich habe einige Lehrkräfte kennengelernt, die mit einer unglaublichen Energie, Leidenschaft und auch Frustrationstoleranz an diesen Schulen unterrichten. Sie arbeiten oft weit über dem Soll; bis zur Belastungsgrenze engagieren sie sich für ihre Schülerinnen und Schüler, für und mit Kopf, Herz und Seele. Das verdient den allerhöchsten Respekt! Liebe Kolleginnen und Kollegen, Applaus alleine reicht nicht, obwohl Wertschätzung ganz, ganz wichtig ist. Deswegen bringen wir, Bund und Länder, gemeinsam das Startchancen-Programm für genau diese Schulen auf den Weg. Wir machen Brennpunkte zu Leuchttürmen, zu Talentschulen, weil wir wissen, dass in jedem Kind Talente schlummern. Es ist Zeit, diese zum Strahlen zu bringen. Dafür brauchen diese Schulen Freiräume: weniger Bürokratie, mehr Schulautonomie, ein Chancenbudget zur freien Verfügung, starke Unterstützung für Schulleiterinnen und Schulleiter, damit diese sich auf ihre Aufgaben als Change-Manager, als Ratgeber und Sparringspartner für die Lehrkräfte, als Treiber für Aufstiegschancen und Digitalisierung und als Pioniere für innovative Schulentwicklung konzentrieren können. Nein, das ist nicht nötig. Die Schulen werden von unnötigem Bürokratieballast befreit, damit in Ruhe gelassen; aber sie werden nicht alleine gelassen. Ein wichtiger Bestandteil des Startchancen-Programms ist die wissenschaftliche Begleitung und Evaluation. Das ist mir ganz wichtig; denn wir fördern 4 000 Schulen in Deutschland, aber diese sollen ausstrahlen und anderen Schulen in Deutschland den Weg weisen – Leuchttürme eben. Zuletzt ist mir wichtig, eine Sache zu sagen. Die Bildungsmisere in Deutschland ist etwas, was nicht erst in den letzten zwei Jahren aufgetaucht ist, sondern das ist etwas, was uns schon lange begleitet, und auch nichts, was sich mit einem Fingerschnipsen einfach von heute auf morgen bewältigen ließe, sondern es ist ein langer und ein steiniger Weg. Aber für die Zukunftschancen von Kindern und Jugendlichen und für die Zukunftschancen unseres Landes gehen wir diesen Weg, und das ist mir ganz wichtig; denn das macht uns aus: Wir denken hier nicht in Legislaturperioden, wir denken in die Zukunft.