Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! In einem demokratischen Rechtsstaat ist der Gesetzgeber einem permanenten Abwägungsprozess unterworfen. Es ist Aufgabe des Rechtsstaates, Straftaten nach Möglichkeit zu verhindern und, wenn sie geschehen sind, sie zu ahnden. Dafür müssen wir als Gesetzgeber den Strafverfolgern natürlich Instrumente an die Hand geben. Die zweite wichtige Aufgabe des Gesetzgebers im Rechtsstaat ist es aber in der Tat, die Freiheit aller Menschen zu schützen. Den Rechtsstaat unterscheidet vom Polizeistaat, dass es im Rechtsstaat keine Strafverfolgung um jeden Preis gibt, dass die Freiheit aller Menschen, der Schutz ihrer Privatsphäre, ihrer Freiheitssphäre respektiert werden müssen und nicht einfach aufgrund von Nützlichkeitserwägungen der Strafverfolgung ausgehebelt werden können. Dies gilt im Rechtsstaat sogar für Straftäter, es gilt für Personen, die einer Straftat verdächtig sind, und es gilt erst recht für völlig unbescholtene Bürgerinnen und Bürger, meine Damen und Herren. Zwischen diesen Polen, dem Anspruch auf Strafverfolgung einerseits und dem Schutz der Freiheitsrechte aller anderseits, muss der demokratische Rechtsstaat immer wieder abwägen. Genau diese Abwägung, Herr Kollege Krings, nehmen Sie als Union eben in keiner Weise vor. Es ist kein Abwägungsprozess, Herr Kollege Krings, einfach pauschal auf die – völlig unstrittig – grausame Dimension von Verbrechen gegen Kinder hinzuweisen, um damit dauerhafte Grundrechtseingriffe in die Grundrechte aller Menschen in diesem Land zu rechtfertigen. Nichts anderes wäre die anlasslose Speicherung sämtlicher IP-Adressen: ein permanenter Eingriff in die Grundrechte aller Menschen in diesem Land, übrigens auch der überwiegenden Mehrheit der Kinder und Jugendlichen in diesem Land, die ebenfalls im Internet unterwegs sind. Grundrechtseingriffe in die Rechte unbescholtener Dritter in einem Strafverfahren sind nur in absoluten Ausnahmefällen und eben nach gründlicher Abwägung zulässig. Abwägung ist in Ihrer heutigen Rede leider erneut nicht zu erkennen und auch in Ihrem Antrag nicht, Herr Kollege Krings. Meine Damen und Herren, wir sollten uns mal anschauen, wozu die Unionspolitik der vergangenen Jahre konkret geführt hat; Herr Lieb hat zu Recht darauf hingewiesen. Sie haben tolle Reden geschwungen, Sie haben mal die Gefährlichkeit von Terrorismus, mal sexualisierte Gewalt gegen Kinder und sogar mal Raubkopien als Argument für Vorratsdatenspeicherung angeführt. Natürlich sind Gewalt gegen Kinder und Terrorismus schlimme Bedrohungen in unserem Land. Aber Sie als Union haben ja im Ergebnis kein einziges Mittel zur Strafverfolgung im Internet zur Verfügung gestellt. Ihre Bilanz ist fatal: 16 Jahre lang Rechtsunsicherheit für die Ermittlungsbehörden – 16 Jahre lang! –, und am Ende steht nichts, Herr Krings. Das ist die Wahrheit. Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, auf EU-Ebene wird gerade in der Tat – das ist bereits angesprochen worden – ergänzend ein Vorschlag für eine sogenannte Chatkontrolle, also die Inhaltskontrolle sämtlicher Messengerdienste in der Europäischen Union – auch hier wären die Chats von Kindern und Jugendlichen natürlich eingeschlossen –, diskutiert. Eine solche Chatkontrolle wäre völlig unverhältnismäßig. Wir erwarten von der Bundesinnenministerin, dass sie sich im EU-Rat dagegen einsetzt. Strafverfolgung muss anlassbezogen und zielgerichtet sein und nicht anlasslos und massenhaft. Vielen Dank.