Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, Kollegen! Jedes Jahrzehnt bringt historisch gesehen eine zentrale sicherheitspolitische Herausforderung für Deutschland, für Europa, für unser Bündnis. Im letzten halben Jahrhundert waren das in den 70er-Jahren die Verschärfung des Kalten Krieges, in den 80er-Jahren die Umsetzung des NATO-Doppelbeschlusses, in den 90er-Jahren die ersten Auslandseinsätze, verbunden mit den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien. Der Beginn der 2000er-Jahre war geprägt von Nine Eleven und dem internationalen Kampf gegen den Terror, und die 2010er-Jahre brachten, beginnend mit der rechtswidrigen Annexion der Krim, eine immer unverhohlenere russische Aggression zutage. Jetzt, mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, stehen wir, Deutschland und seine Verbündeten, vor der existenziellen Bedrohung durch ein expansiv-imperialistisches Russland, das einen Annexionskrieg führt und mit nuklearem Angriff droht. Jetzt stehen Fragen an, und jetzt müssen Entscheidungen getroffen werden – gemeinsam von den NATO-Staaten. Diese müssen historisch sein. Wir stehen vor einem historischen Gipfel der NATO. Es ist etwas befremdlich, dass die CDU/CSU-Fraktion das hier überhaupt zum Thema machen muss, dass weder der Herr Bundeskanzler noch die Außenministerin oder der Verteidigungsminister es als erforderlich ansehen, hier mal anwesend zu sein, und dass niemand von der Regierung vor diesem Gipfel wie sonst vor jedem Gipfel irgendeine Veranlassung sieht, dem Parlament Rechenschaft abzulegen. Das spricht für den schlechten parlamentarischen Stil der Ampelkoalition und der Regierung, den wir in dieser Woche schon einige Male haben erleben müssen. Ich hoffe, dass Sie irgendwann zur Umkehr kommen. Es stehen zentrale Fragen an, etwa zum New Force Model der NATO, das auch Stationierungsfragen betrifft. Wir haben in der vergangenen Woche gehört, dass der Verteidigungsminister in Litauen angekündigt hat, dort eine ganze deutsche Brigade mit bis zu 4 000 Frauen und Männern ständig zu stationieren. Das ist eine mutige Entscheidung. Das ist wahrscheinlich auch eine richtige Entscheidung, die wir unterstützen werden. Nur, Frau Kollegin, sie ist völlig unvorbereitet. Es ist völlig unklar, wo in Litauen die Soldatinnen und Soldaten unterkommen sollen, wo die Familien leben sollen, wie Kinderbetreuung, wie Schulbildung stattfinden soll. Die Finanzierung ist völlig unklar. Ist das eine neue Brigade? Werden dafür in Deutschland Standorte geschlossen und eine hiesige Brigade dorthin verlegt? Völlig offene Fragen, denen sich die deutsche Öffentlichkeit und auch das Bündnis gegenübersehen. Deswegen sagen wir: Die Bundesregierung darf nicht mit ungedeckten Schecks nach Vilnius fahren. Wir brauchen Klarheit über diese Fragen. Apropos ungedeckte Schecks: 2 Prozent hatte der Bundeskanzler schon lange angekündigt. Umgesetzt ist bisher noch nichts. Der NATO-Generalsekretär Stoltenberg, der erfreulicherweise weitermacht – ich muss wirklich sagen: einer der wenigen Sozialdemokraten, die man gerne in hoher politischer Verantwortung sieht –, hat angekündigt, dass die 2 Prozent, liebe Herr Kollege Coße, jetzt nicht irgendwie ein Mittelwert sind, den man mal in den nächsten Jahren so halbwegs erreichen müsste – das versucht ja jetzt neuerdings die Bundesregierung –, sondern 2 Prozent sollen der Ausgangspunkt für die NATO sein. Deswegen fragen wir an dieser Stelle auch vor dem Hintergrund der Beschlüsse des Kabinetts die Koalition und die Ampelregierung hier im deutschen Parlament ganz deutlich: Wird Deutschland seiner Rolle in der NATO gerecht werden, und wird Deutschland in den nächsten Jahren die 2 Prozent nicht nur erreichen, sondern überspringen? Denn das ist notwendig. Wir dürfen nicht hinterherhinken. Deutschland muss, auch was Finanzen angeht, vorangehen. Letzten Endes muss der Bundeskanzler, wenn er sagt: „Es gibt Sicherheitsgarantien für die Ukraine“, mal klar erläutern, was das denn bedeutet. Wir praktizieren ja schon Sicherheitsgarantien. Ist das mehr, ist das weniger als Artikel 5 des Nordatlantikvertrages? Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer als Regierungschef sagt, dass es Sicherheitsgarantien gibt, muss dem deutschen Parlament Rechenschaft darüber ablegen, was das konkret bedeutet; und das erwarten wir nach wie vor. Herzlichen Dank.