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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als in den letzten Jahren dunkle Wolken über der Außen- und Sicherheitspolitik aufzogen, war es unter den demokratischen Parteien Konsens, dass wir mit den klassischen Weißbuchprozessen nicht mehr weiterkommen, sondern eine Nationale Sicherheitsstrategie brauchen. Deswegen findet sich das in den Wahlprogrammen der demokratischen Parteien für die letzte Bundestagswahl. Es ist folgerichtig, dass diese Regierung, genau wie jede andere Regierung es getan hätte, den Prozess der Erarbeitung einer Nationalen Sicherheitsstrategie unternommen hat; darüber gibt es Konsens. Daraus resultiert auch unser Angebot, konstruktiv daran mitzuwirken. Es wäre schön gewesen, wenn wir das auch so hinbekommen hätten.
Beifall bei der CDU/CSU)
Eigentlich war die Nationale Sicherheitsstrategie seitens der Regierung für Dezember letzten Jahres angekündigt. Es wäre dann möglich gewesen, sie auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar vorzustellen, als alle wichtigen außen- und sicherheitspolitischen internationalen Akteure zusammen waren. Diese Chance ist leider verstrichen. Der Kanzler ist auch zum G-7-Treffen nach Japan ohne eine Nationale Sicherheitsstrategie gereist. Im Übrigen wird er Ende nächster Woche auf einen EU-Gipfel reisen, auf dem über eine China-Strategie der Europäischen Union geredet wird, ohne dass Deutschland eine China-Strategie hat, weil Sie gesagt haben: Eine China-Strategie können wir erst schreiben, wenn die Nationale Sicherheitsstrategie vorliegt. – Das ist schade. Das schwächt Deutschlands Position bei solchen Verhandlungen mit europäischen Partnern.
Beifall bei der CDU/CSU)
Es wäre im Übrigen auch schön gewesen, wenn der Verteidigungsminister, der Bundeskanzler, die Innenministerin heute hier sein könnten. Ich weiß, dass sie entschuldigt sind. Aber es war ja die Koalition, die den Termin auf den heutigen Morgen gelegt hat. Insofern wäre es schöner gewesen, wenn sie da gewesen wären. Das hätte unterstrichen, dass es sich um eine nationale, von der gesamten Bundesregierung getragene Sicherheitsstrategie handelt.
Für die Bundespressekonferenz hat es gereicht!)
Ich möchte formulieren, was aus unserer Sicht zu einer Nationalen Sicherheitsstrategie gehört. Ich glaube, Deutschland hätte die Chance gehabt, mit der NSS, der Nationalen Sicherheitsstrategie, aufzuschließen auf das Niveau unserer wichtigen Partner Frankreich, Großbritannien und USA, die so etwas haben, indem im Rahmen einer Analyse eine gemeinsame Sicht auf die Sicherheitslage dargelegt wird, indem Sicherheitsziele formuliert werden, indem die Instrumente, die wir haben, um Sicherheit herzustellen, dargestellt und integriert werden, indem die Entscheidungsprozesse mit Blick auf die Sicherheit für Deutschland strukturiert und optimiert werden, mithilfe derer man im Übrigen auch die Ressourcen steigert.
Wenn ich mir dieses Papier anschaue, das seit Mittwoch, 11 Uhr, vorliegt, in Hochglanz – bis zu diesem Zeitpunkt war es „Streng vertraulich“; jetzt ist es plötzlich in Hochglanz verfügbar –, knapp 80 Seiten, dann stelle ich fest: Es sind viele schöne Bilder dabei. Das kann man so machen, muss man aber nicht so machen. Es wäre besser gewesen, wenn mehr Inhalte in dieser Strategie enthalten wären.
Beifall bei der CDU/CSU
Welche denn? Welche fehlen denn Ihrer Meinung?)
Ich möchte sagen, dass wir die Analyse weitgehend teilen. Ich glaube, sie ist sorgfältig erarbeitet worden. Aber was unsere Herausforderungen in der Sicherheitspolitik sind, ist in diesem Hause eigentlich auch Konsens.
Jetzt sage ich mal ganz konkret, was wir auszusetzen haben:
Erstens. Es gab keine ausreichende Einbeziehung aller notwendigen Akteure bei diesem Prozess. Frau Bundesaußenministerin, Sie selbst haben am 18. März 2022 in Berlin gesagt – Zitat –:
Wir wollen diesen Prozess gemeinsam mit den unterschiedlichen Ressorts der Bundesregierung, mit Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag, und zwar fraktionsübergreifend, und vielen … internationalen Partnerinnen und Partnern breit und partizipativ gestalten.
Wenn Sie mit den Innenministern der Bundesländer sprechen, egal welcher Partei sie angehören, so stellen Sie fest, dass sie sich nicht ausreichend einbezogen fühlen, obwohl doch die Länderebene bei uns für wesentliche Teile der Sicherheit verantwortlich ist. Polizei, Terrorabwehr, Cyberschutz, das alles sind Aufgaben der Länder. Auch wir als Opposition fühlen uns unzureichend einbezogen. Ich habe an Sitzungen im Auswärtigen Amt teilgenommen, denen einzelne Ressorts der Bundesregierung fernblieben. Zum Beispiel war der Platz des Wirtschaftsministeriums, als ich teilgenommen habe, unbesetzt, und es gab kein Papier, keine konkreten Formulierungen. Es war nicht das, was wir unter Partizipation verstehen. Das ist etwas, was von Anfang an die Durchsetzung der Nationalen Sicherheitsstrategie und deren Akzeptanz belastet hat.
Zweitens gibt es auch inhaltlich einige echte Schwachpunkte, die man hier nennen muss. Die Formulierung zum 2-Prozent-Ziel bezüglich der Verteidigungsausgaben gemäß NATO wird hier in einer Form gewählt, die unter dem bleibt, was der Bundeskanzler am 27. Februar 2022 von diesem Pult aus formuliert hat. Der Bundeskanzler hat formuliert, Jahr für Jahr mehr als 2 Prozent des BIP für Verteidigung auszugeben. Sie schreiben jetzt in der Nationalen Sicherheitsstrategie:
Zunächst auch durch das neu geschaffene Sondervermögen Bundeswehr werden wir im mehrjährigen Durchschnitt unseren 2 %-BIP-Beitrag … erbringen.
Zuruf der Bundesministerin Annalena Baerbock)
Ich bin super gespannt, wie Sie in den nächsten zwei Jahren, in denen Sie noch zu regieren gedenken, das aufholen, was bereits in den Jahren 2022 und 2023 versäumt wurde. Dieses Volumen an Verteidigungsausgaben kriegen Sie ja kaum in vernünftigen Investitionen untergebracht. Das wird Ihnen nicht gelingen; das ist schon mal eine Panne mit Ansage.
Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Johannes Huber [fraktionslos])
Dabei ist mir aufgefallen, dass sich die gleiche Formulierung an zwei Stellen im Papier befindet. Offensichtlich hat man sie so oft hin- und hergeschoben, dass man hinterher vergessen hat, dass man es auch noch an einer anderen Stelle stehen hat. Aber geschenkt.
Den dritten kritischen Punkt, den ich hier nennen will, ist die Frage nach den fehlenden Strukturen. Eine Nationale Sicherheitsstrategie muss alle nationalen Akteure für die Sicherheit unseres Landes integrieren. Ein Nationaler Sicherheitsrat wäre das richtige Instrument dafür gewesen. Der Nationale Sicherheitsrat hätte, anders als der Bundessicherheitsrat, auch andere Akteure, wie zum Beispiel die Bundesländer, miteinbeziehen können. Diese Chance haben Sie vertan. Aber das kann man ja vielleicht noch nachholen und entsprechend heilen.
Beifall des Abg. Roderich Kiesewetter [CDU/CSU])
Ein vierter Punkt, der mich im Blick auf diese Strategie kritisch stimmt, ist die fehlende Vernetzung der Instrumente. In diesem Papier wird zu verschiedenen Akteuren bzw. Instrumenten, die wir in der Außen- und Sicherheitspolitik haben, viel zu wenig gesagt. Zum Beispiel in Bezug auf die wichtige Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik haben Sie auf Seite 50 folgende Formulierung gewählt:
Wir stärken unsere Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik und die Wissenschaftsdiplomatie, die unseren Austausch mit der Welt über Werte und Interessen vorantreiben und damit Deutschlands Chancen zur Vernetzung und Verständigung sicherstellen.
Das ist Wahlprogrammtext, aber kein Sicherheitsstrategietext. Man hätte sagen können: Wir setzen 1 Milliarde Euro Kulturmittel ein, um softe Außenpolitik zu machen. Wenn Sie mit dem Goethe-Institut reden, dann sagen die, dass sie Kürzungen befürchten und nicht mit einer Steigerung ihres Ansatzes rechnen. Das ist einfach nur Wahlprogrammrhetorik und keine Strategie. Es tut mir leid; das wird auch nicht gut ankommen.
Das vielleicht Kritischste aus äußerer Sicht wird sein, dass Sie in dieser Nationalen Sicherheitsstrategie zwar festhalten, dass Sie eine wachsende Herausforderung für die deutsche Sicherheit sehen, aber ausdrücklich formulieren, dass Sie diese nur im Rahmen bestehender Haushaltsmittel bewältigen wollen. Das ist auch eine Sache, die im Zweifel von den internationalen Partnern kritisch betrachtet wird; denn wir alle wissen, dass Sicherheit auch Geld kostet.
Wie würden Sie es denn machen? Außerhalb der haushalterischen Mittel, oder wie?)
Dann finde ich einen Punkt, den ich noch schnell nennen will, total wichtig. Sie sind in dieser Sicherheitsstrategie von der gefundenen Formulierung zum Existenzrecht Israels, die seit Jahren in unserer Gesellschaft und in der Politik Konsens ist, abgewichen. Im Regierungsprogramm Ihrer Koalition finden wir die Formulierung mit dem Begriff „Staatsräson“: Das Existenzrecht Israels ist Staatsräson Deutschlands. – Warum weichen Sie in der Nationalen Sicherheitsstrategie von dieser Formulierung ab? Damit provozieren Sie doch nur dumme und kritische Nachfragen anderer; –
– denn Sie müssen begründen, warum Sie von diesem Terminus abgehen. Ich glaube, diese Nationale Sicherheitsstrategie wird uns in den nächsten Wochen leider auf die Füße fallen.
Beifall bei der CDU/CSU)
Die nächste Rednerin ist Svenja Schulze für die Bundesregierung.
Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)