- Bundestagsanalysen
Moin, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Werte SED-Opferbeauftragte Frau Zupke! Es waren Wut und Verzweiflung, die Bürgerinnen und Bürger der damaligen DDR in den Tagen vor dem 17. Juni vor 70 Jahren auf die Straße getrieben haben. Die Regierung hatte das Ackerland kollektiviert und verstaatlicht, ohne für Maschinen zu sorgen. Dann wurden die Lebensmittel knapp, auch Strom gab es nachts oft nicht. Dann wurden auch noch die Arbeitsnormen, also die erforderliche Arbeitsleistung für den Lohn, erhöht. Es ist aus heutiger Sicht kaum mehr vorstellbar, welchen Mut es gebraucht haben muss, der Wut darüber und der Verzweiflung Ausdruck zu verleihen, aufzubegehren gegen eine Idee, die am 17. Juni ihre Unschuld verlor und ihr wahres Gesicht zeigte. Weg war die Idee des real existierenden Sozialismus, des Arbeiter- und Bauernstaats, und geboren war eine unnachgiebige, brutale Diktatur, die vor nichts zurückgeschreckt hat, um die eigene Ideologie zu wahren und zu verbreiten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Bürgerinnen und Bürger, lassen Sie mich als in der DDR Geborener meine Bewunderung für diejenigen Menschen zum Ausdruck bringen, die an den Tagen um den 17. Juni 1953 den Mut zum Aufbegehren aufbrachten.
Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Und lassen Sie uns dabei auch an jene denken, die für diesen Mut mit ihrem Leben zahlen mussten. Sie verdienen unseren allerhöchsten Respekt.
Angesichts ihres Mutes machen mich manche Diskussionen um Demokratie und Meinungsfreiheit heute fassungslos. Wenn auf Demonstrationen heute ertönt, knapp 34 Jahre nach dem Fall der Mauer, in diesem Land könne man seine Meinung nicht sagen, man dürfe nicht demonstrieren, in diesem Land herrsche eine Diktatur, während man seine Meinung äußert, während man sein Demonstrationsrecht wahrnimmt und während Menschen bei freien und geheimen Wahlen sogar einer Partei mit Faschisten ihre Stimme geben dürfen, kann ich nur sagen: Das ist falsch. Das ist eine Verhöhnung jener Menschen, die vor 70 Jahren alles riskiert haben für Freiheit, Menschlichkeit und Perspektiven.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Meine Damen und Herren, liebe Bürgerinnen und Bürger, wir leben heute in einem der liberalsten, demokratischsten Länder der Erde, und darauf können wir gemeinsam stolz sein. Ich möchte meine Rede deshalb auch dafür nutzen, Opfer des Regimes in den Fokus zu rücken. Vielen jungen Menschen sind die Zeiten nicht mehr bewusst. Sie bekommen Anekdoten erzählt, einen „Schlag aus der Jugend“, meistens mit einem Schmunzeln. Die DDR war ja nicht nur ein Staat von Inhaftierungen, Verbannung und Folter. Viele kamen klar – hatten keine Wahl, kamen ja nicht raus. Ich verstehe auch diejenigen, die die DDR verklären, ging es ihnen ja oft in der DDR besser als in den Zeiten danach.
Ich bin 41 Jahre alt. Ich bin in Brandenburg geboren und in Sachsen-Anhalt aufgewachsen. Viele der Schicksale von Menschen, die noch heute unter den Folgen des Regimes leiden, darf ich im Petitionsausschuss für die SPD begleiten. Es sind berührende Schicksale von Menschen, die verfolgt wurden, denen die Träume genommen wurden, weil sie die falsche Meinung hatten oder weil sie einfach frei sein wollten. Den jungen Menschen von heute möchte ich gerne sagen: Ihr müsst nicht alles an diesem Staat lieben; es ist auch nicht alles in Ordnung in Deutschland, in der Bundesrepublik. Aber wisst zu schätzen, was dieser Staat euch bietet! Sagt eure Meinung! Demonstriert für eure Überzeugungen! Seid frei, und reist in andere Länder! Nutzt eure Chancen! Nutzt eure Freiheit! Lasst uns hier zusammenstehen als Demokratinnen und Demokraten!
Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
In diesem Sinne: Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)