Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir versuchen das jetzt nicht nur, sondern wir werden ein bisschen sachlicher, aber auch emotional. Mal gucken. An diesem Samstag begehen wir den 17. Juni, der kein Tag wie jeder andere ist. Er erinnert an den Volksaufstand von 1953, der bis 1989 das bedeutendste Ereignis in der Geschichte von Opposition und Widerstand in der Deutschen Demokratischen Republik war. Dieses Jahr jährt er sich zum 70. Mal. Der Volksaufstand ist deswegen so bemerkenswert, weil bereits vier Jahre nach der Staatsgründung die Menschen in der DDR gegen eine schwierige Versorgungslage und schlechte Arbeitsbedingungen, aber vor allem für ein freies Leben mit freien Wahlen demonstriert haben. Gleichzeitig beeinflusste dieser Tag auch 36 Jahre später noch Bürger/-innen der DDR und verbindet die Demonstrierenden von 1953 und 1989 mit einem unsichtbaren Band. Der 17. Juni erinnert uns daran, wie kostbar unsere Freiheit ist, wie hart diese erstritten wurde und dass Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist. Wir müssen uns weiterhin für sie einsetzen, Tag für Tag. Der 17. Juni sollte für uns alle ein Mahnmal sein, durch das wir die Gelegenheit haben, die Opfer und Helden des Volksaufstands zu ehren und uns gleichzeitig zu hinterfragen, wie wir ihre Botschaft für Freiheit und Gerechtigkeit in der heutigen Zeit aufrechterhalten können. Aus eigener Biografie und Geschichte weiß ich, was es bedeutet, wenn die Erinnerungen an den Unrechtsstaat zwischen Nostalgie und Ostalgie verwischen und sich mit Erlebnissen des Alltags vermischen. Ich erlebe den Umgang mit der DDR inzwischen häufig als scheinbar entpolitisiert und geschichtsverklärt. Linke wie rechte Kräfte bedienen sich hier an der Geschichte der DDR wie an einem Werkzeugkasten, um ihren Interessen faktenfreie Argumente zu liefern. Wir müssen, heute mehr denn je, eine gemeinsame, lebendige Erinnerungskultur für diesen Teil der deutsch-deutschen Geschichte etablieren und dürfen diese nicht in unterschiedliche Regionen spalten. Womit ich auch schon bei den diversen Anträgen der AfD-Fraktion angekommen bin. Verstehen Sie mich nicht falsch: Das Mahnmal für die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft oder die Rekonstruktion zerrissener Stasiunterlagen sind wichtig. Und Sie wissen auch ganz genau, dass wir uns als Ampel mit diesen Themen auseinandersetzen und sie auch ohne Ihre Anträge proaktiv voranbringen. Mit Ihrem Sammelsurium an Anträgen konterkarieren Sie nicht nur Ihren eigenen Antrag zum 17. Juni, sondern relativieren die Bedeutung des historischen Datums. Es geht vielmehr um die Lebensleistung und Lebenslinien von Menschen und ihren Familienangehörigen, insbesondere um die 55 Getöteten und etwa 10 000 Verhafteten, die 1953 unerschrocken demonstrierten. Sie führen uns letztlich zum 9. November 1989, dem Tag, an dem die Mauer fiel. Ihr Einsatz darf nicht vergessen werden. Und all das scheinen Sie zu ignorieren. Es geht Ihnen wieder einmal nur um maximale Aufmerksamkeit – das haben wir gerade gemerkt – und um maximale Eskalation. Aber Maximum ist kein Optimum. Schon Ihr Antrag zum Mahnmal bietet keinen Mehrwert; denn neben den Fragen der künstlerischen wie erinnerungskulturellen Ausgestaltung lassen Sie sich vornehmlich zum Standort aus. Dieser ist jedoch gemeinsam mit dem Bund, dem Land Berlin und dem Bezirk Mitte im Einvernehmen mit den Opfervertretungen beschlossen: Es wird der Berliner Spreebogen. Kommen wir zum nächsten Antrag. „Wissenschaftliche Untersuchung der Parteizugehörigkeit und Funktionärstätigkeit späterer Bundestagsabgeordneter in der SED-Diktatur“ – so lautet die Überschrift. Eine weitere Kommission braucht es genauso wenig wie diesen Antrag. Es gibt bereits die SED-Forschungsverbünde, die wissenschaftlich arbeiten. Daneben haben wir die Bundesstiftung Aufarbeitung sowie die SED-Opferbeauftragte beim Deutschen Bundestag, Frau Evelyn Zupke, oder das Bundesarchiv, die sich alle eingängig mit der Aufarbeitung der SED-Diktatur befassen. Auch im Kulturausschuss haben wir gerade heute im Rahmen eines Fachgesprächs darüber diskutiert, bei dem unter anderem auch Frau Zupke zugegen war. Dafür noch einmal herzlichen Dank an sie. Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zum Antrag zur „Rekonstruktion zerrissener Stasiunterlagen“ sagen. Ich frage mich: Worüber reden wir da? Bei der Überführung des Stasi-Unterlagen-Archivs in das Bundesarchiv haben wir uns etwas gedacht. Dabei ging es nicht nur um bürokratische Verschlankung, sondern vornehmlich um das Heben von Synergieeffekten. Das Bundesarchiv steht wie kaum eine andere Einrichtung für Digitalisierung und die sichere Aufbewahrung von Digitalisaten. Mit dieser Überführung wurde sich für einen klaren Schnitt und für einen Neuanfang entschieden, um im Interesse der Opfer der SED-Diktatur voranzukommen. Laut Bundesrechnungshof wären die Unterlagen beim bisherigen Arbeitstempo in sage und schreibe rund 847 Jahren wiederhergestellt. Ich mutmaße an dieser Stelle, für die meisten von uns ist das ein bisschen zu spät, um sich noch einen Einblick in die gesammelten Daten über sich zu verschaffen. Mehr ist dazu politisch eigentlich nicht zu sagen, aus Respekt vor dem dazu anhängigen Rechtsstreit und der Gewaltenteilung. Klar ist: Es muss schneller werden, und es muss besser werden. Wir haben vollstes Vertrauen in das Bundesarchiv, dass diese Ansprüche erfüllt werden. Der Bundestag wird das Bundesarchiv in diesem Prozedere begleiten und unterstützen. Aber noch mal: In dieser Woche sollte es ausschließlich um den 17. Juni gehen und um alles, wofür er steht. Sie sind dieser Tragweite heute leider nicht gerecht geworden. Deswegen freue ich mich umso mehr auf unseren Antrag, den wir morgen Vormittag im Plenum behandeln, und die Gedenkstunde am Freitag. Vielen Dank.