Das ist schändlich, peinlich und unanständig. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich erinnere mich an Zeiten, in denen Sie, wenn ich in Debatten in Bezug auf Abschiebungen auf Doppelmoral und doppelte Standards hingewiesen habe, also auch bei Kritik an der Großen Koalition, groß applaudiert haben. Heute haben Sie aber gerade ein Musterbeispiel für doppelte Standards, Doppelmoral und Heuchelei abgegeben. Das werde ich Ihnen in den folgenden Minuten auch deutlich machen. Wenn Sie hier der SPD-Fraktion moralisch aufgeladen vorwerfen, wir trügen die Schuld dafür, dass nicht genügend Menschen abgeschoben würden, dann stelle ich ganz nüchtern fest – ich muss das nicht mal vorwurfsvoll machen; das ist einfach nur eine Feststellung –, dass Sie in den letzten Wochen und Monaten mit Ihrer geradezu manischen Besessenheit, mit der Sie das Thema Abschiebungen auf die Bühne bringen, ohne ganzheitliches Migrationskonzept einen Beitrag dazu leisten, dass rassistische und diskriminierende Denkmuster und überhaupt ein verhetzender Diskurs in Bezug auf Flüchtlinge in diesem Land befördert werden. Das finde ich peinlich und Ihrer nicht würdig. Das ist insbesondere auch Ihrer ehemaligen Kanzlerin nicht würdig. Sie haben ja eben deutlich gemacht, dass wir uns in Widersprüchen befinden würden. Komischerweise sagte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident, Herr Wüst, wörtlich bei ntv: Wer auf Abschiebungen setzt, lügt sich in die Tasche. – Ja, das ist Ihre kleine simple Methode. Ich werde es Ihnen gleich erklären. Wenn Sie das kognitiv hinkriegen, dann schaffen wir das alle gemeinsam. – Herr Wüst hat ganz deutlich gemacht, welchen Ansatz wir gehen. Wenn Sie sich mal den Koalitionsvertrag in Nordrhein-Westfalen angucken, dann sehen Sie: Das ist ohnehin letztlich Applaus für den Koalitionsvertrag auf der Bundesebene, die Aufforderung, das gesamtheitliche Konzept der Bundesebene durchzusetzen. Ich erinnere mich im Übrigen auch an Zeiten – das war die erste Debatte, die ich im nordrhein-westfälischen Landtag erlebt habe –, als es noch die Einstellung gab – fraktionsübergreifend, Union inklusive –, dass man beim Thema „Migration, Flucht und Integration“ bei allen Differenzen aus staatspolitischer Verantwortung heraus eben keine rein parteipolitische Zuspitzung betreibt, das Thema eben nicht instrumentalisiert und sich bewusst macht, dass es hier um Menschenleben geht. Warum war das damals der Konsens? Weil man sich daran erinnerte, wie die Debatten in 90er-Jahren gelaufen sind, und weil man sich daran erinnerte, wie die Debatte zum Doppelpass gelaufen ist, Stichwort „Wo kann man hier gegen Ausländer unterschreiben?“ Daraus hatten alle gelernt, inklusive der Union in Nordrhein-Westfalen, die es auf Landesebene immerhin weitestgehend verstanden hat. Sie im Bundestag haben es nicht verstanden. Man kann sehr wohl über dieses Thema diskutieren und streiten. Wenn man es aber nur noch verkürzt und auch noch Täuschung und Irreführung der Bevölkerung betreibt, dann ist eine Grenze überschritten, dann ist sie eindeutig überschritten. Erstens. Sie erwecken mit Ihrem Gesetzentwurf und Ihrer Rhetorik Woche für Woche den Eindruck, als würden wir durch solche Maßnahmen wie der Verlängerung des Ausreisegewahrsams – und das ist die Täuschung – erreichen, dass wir Hunderttausende von Menschen abschieben könnten; Sie verweisen wieder auf über 300 000. – Selbstverständlich erwecken Sie diesen Eindruck, und das ist Irreführung, grobe Irreführung. Mitnichten erfolgt dies. Der zweite Punkt. Wenn wir sinnvollerweise – und das ist auch die Position des Bundeskanzlers, weil er verstandesmäßig dazu in der Lage ist, den Gesamtblick zu haben – von Abschiebungen sprechen, inklusive solcher Aspekte wie Ausreisegewahrsam, Abschiebungshaft etc., dann liegt der Fokus eindeutig auf Gefährdern und Straffälligen. Aber das ist eben nicht generell und global gedacht. Ich erinnere hier an das Beispiel der Familie Pham-Nguyen in Sachsen. Mit Innenminister Schuster durfte ich letztens in Sachsen über Fragen der Migrationspolitik diskutieren. Dieser Fall – schauen Sie ihn sich an, wenn Sie ihn noch nicht kennen, auch Sie auf den Tribünen! – ist ein Beispiel dafür, dass man Abschiebungspolitik eben nicht so global und abstrakt betreiben und betrachten darf, sondern dass es sinnvoll ist, gerade bei bestens integrierten Personen und Familien auf das Bleiberecht zu setzen und ihnen Aufenthalt zu ermöglichen. Es ist doch widersinnig, diesen Menschen solche Probleme zu bereiten, Abschiebungen zu forcieren, wo es keinen Sinn macht, wenn sich andererseits Straffällige und Gefährder teilweise der Ausreise entziehen. Im Übrigen: Ihr Gesetzentwurf ist doch Selbstkritik. Wer hat denn 16 Jahre lang das Innenministerium besetzt? Wer ist denn für diese Zahlen federführend verantwortlich? Sie selbst und niemand sonst! Sie haben selbst den Beweis geführt, dass a) ohnehin Länder und Kommunen zuständig sind und dass b) das Bundesministerium Abschiebungsmaximalismus überhaupt nicht forcieren kann. Ihre eigenen Innenminister sind Zeugen dafür. – Erstens. Zweitens. Wenn Sie Abschiebungen erwähnen, dann vergessen Sie aber bitte nicht die Migrationsabkommen. Nur so macht das Sinn. Es ist doch auch scheinheilig, zu sagen: „Ihr müsst mehr abschieben“, wenn die Länder die Personen gar nicht zurücknehmen. Das heißt, wir müssen zwingend auf faire, auf Augenhöhe gestaltete Migrationsabkommen zu sprechen kommen. Drittens. Was Sie mittlerweile gar nicht mehr erwähnen – früher haben Sie das hier noch getan –, ist, dass Sie damit Menschenleben retten wollen. Aber ich kann Ihnen ja jetzt noch mal einen Tipp zur Argumentation geben: Wenn Sie das ernsthaft wollen, wenn Sie also irreguläre Migration reduzieren wollen, damit Menschen sich nicht auf den lebensgefährlichen Weg machen, dann sollten Sie auch mit Nachdruck legale Wege betonen. Sie sollten das Fachkräfteeinwanderungsgesetz lauthals begrüßen. Sie sollten insbesondere sagen: „Setzt das Aufnahmeprogramm für Afghanistan möglichst schnell um!“, damit Afghaninnen und Afghanen in ihrer Verzweiflung nicht den Weg über Asyl suchen. Aber alles das wollen Sie ja gerade nicht. Sie machen es gerade nicht und verweigern sich dem. Außerdem täuschen Sie auch noch in einem letzten Punkt: Woher kommen denn die meisten? Aus Syrien, Afghanistan, Türkei, Iran, Irak. Sind das Länder, bei denen man problemlos sagen kann: „Ablehnung des Asylantrags, kein Flüchtlingsschutz, Abschiebung“? Mitnichten! Das sind Länder in Kriegssituationen. Aus guten Gründen entscheidet das BAMF in vielen Fällen positiv über die Bescheide; es kann in der Regel nicht einfach abgeschoben werden. Das zeigen umgekehrt die höheren Zahlen der Abschiebungen eben nach Albanien, Georgien und in andere Staaten. Diese Divergenz zeigt, dass Sie ein Täuschungsmanöver durchführen, indem Sie durch solche Verschärfungsmaßnahmen, die wir ja grundsätzlich überhaupt nicht ablehnen – aber wir lehnen Ihre Logik ab –, suggerieren, Sie könnten massenhaft global Abschiebungen durchsetzen, was Sie aber nicht können. Das macht auch überhaupt keinen Sinn. Also, bitte werden Sie sich endlich Ihrer staatspolitischen Verantwortung bewusst! Dieses Thema eignet sich nicht dafür, es auf dem Rücken von Geflüchteten und mit billigen parteipolitischen Tricks durchzuspielen. Vor allem haben Sie sich selbst entlarvt. Anstatt zu sagen: „Wir wollen Migration ordnen und eine humanitäre Migrationspolitik“, war Ihr erster Satz, Herr Throm: „Wir machen hier einen Lackmustest.“ Ihnen sind Parteitaktik, Spielchen, vermeintliche Spaltung und Vorführen der Koalition wichtiger als Menschenleben und verantwortungsvolle Politik.