Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Jung geblieben ist sie, unsere Verfassung. Auch in ihrem 75. Lebensjahr überzeugt sie durch ihre Unaufgeregtheit und ihre wenigstens ursprünglich wunderbar präzise, schlanke Form: „Eigentum verpflichtet“, „Frauen und Männer sind gleichberechtigt“ und, allem vorangestellt, „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Der Mensch steht unserer nun gesamtdeutschen Verfassung voran. Erst dann, danach folgt der Staat, folgen die Institutionen des Staates. Die Grund- und Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger wurden gleich am Anfang formuliert. Meine Damen und Herren, was hat das denn bitte mit Patriotismus zu tun? Patriotismus, das ist die Liebe zum Vaterland. Aber es gibt viele Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, die unsere Verfassung schätzen und leben, obwohl Deutschland nicht ihr Vaterland ist. Über Verfassungspatriotismus können wir debattieren; denn genau diesen sollten wir jeden Tag, jede Woche, jedes Jahr leben, 24/7. Das ist unsere Grund-DNA als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten – auch zu 160 Jahre SPD. Ein Blick in die Protokolle der Beratungen des Parlamentarischen Rates damals zeigt das Ringen und Streiten um Formulierungen einzelner Punkte nach zwölf Jahren NS-Diktatur – allerdings in einem konstruktiven Ton, in einer an der Sache orientierten Debatte und in durchaus auch geistreichen Diskussionen, nicht diskreditierend, wie wir es heute leider allzu oft erleben, Frau Lindholz. Sehr geehrte Damen und Herren, 74 Jahre nach der Verkündung des Grundgesetzes kann ich in dem Antrag der Union von Nummer 1 bis Nummer 3 Buchstabe k. nur eines sehen: Es geht um Polemik. – Der Mensch steht nicht im Vordergrund, und das wäre so wichtig. Der Juristin und Sozialdemokratin Elisabeth Selbert verdanken wir das klare Bekenntnis zur Gleichberechtigung in unserem Grundgesetz. Gerade mal 4 Frauen von insgesamt 65 Mitgliedern des Parlamentarischen Rates durften das Gesetz mitgestalten. Selberts Antrag wurde mehrfach abgelehnt. So initiierte sie einen öffentlichen Protest, der durch wäschekörbeweise Post nach Bonn von Frauen aus der ganzen Republik unterstützt wurde. Zusammen mit Friederike Nadig, SPD, Helene Weber, CDU, und Helene Wessel, Deutsche Zentrumspartei, hat sie Großes geschaffen. Ein Andenken an diese vier Frauen sollte uns gleichzeitig Ansporn sein, die Gleichberechtigung endlich und in allen Bereichen unseres Lebens umzusetzen und Realität werden zu lassen. Und da nützt ein verbindendes Band gar nichts. Da würden endlich gleicher Lohn für gleiche Arbeit und mehr Frauen in Parlamenten helfen, verehrte Union. Lassen Sie mich zum Schluss, Frau Präsidentin, noch einen wichtigen Aspekt anmerken. In der nächsten Woche jährt sich der Brandanschlag in Solingen zum 30. Mal. Am frühen Morgen des 29. Mai 1993 sind dem Brandanschlag 5 Menschen zum Opfer gefallen; 17 weitere Menschen wurden schwer verletzt. Dieser Anschlag hatte einen rechtsradikalen Hintergrund, wie leider viele andere Anschläge dieser fürchterlichen Art. Er steht symbolisch für die fürchterlichen ausländerfeindlichen Verbrechen in unserem Land. Damals war übrigens das Asylrecht drei Tage zuvor im Bundestag geändert worden. Es ist daher umso wichtiger, sich täglich für unser Grundgesetz einzusetzen und unsere darin benannten Werte mit Leben zu füllen. Da nützt es auf jeden Fall nicht, ein „Bundesprogramm Patriotismus“ zu schnüren und im gleichen Atemzug den Alltagsrassismus par excellence zu bedienen und von kleinen Paschas zu reden. Ich würde mich schon darüber freuen, wenn Sie die Gesetzgebung wie die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts unterstützen würden. Heute ist der 24. Mai, einer von 365 Feiertagen im Jahr für unser Grundgesetz.