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Frau Präsidentin! Herr Bundespräsident! Herr Botschafter! Meine Damen und Herren! Wir gratulieren dem Staat Israel, und wir sind dankbar, dass wir
das zusammen feiern können. Zum 60. Jubiläum hat die damalige Parlamentspräsidentin Dalia Itzik gesagt: „Am Anfang war die Wüste.“ Das war sehr höflich uns
Deutschen gegenüber; denn am Anfang war die Asche von Auschwitz-Birkenau, war die Asche des Holocaust. Und aus dieser Tatsache, aus den Verbrechen, die die
Generation meines Vaters in den Uniformen der Wehrmacht, der Polizei, der Waffen-SS verübt hat, als sie versucht hat, das jüdische Volk auszulöschen, erwächst
die besondere Verantwortung Deutschlands für den Staat Israel.
Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)
Mit dieser besonderen Verantwortung ist es eben nicht zu vereinbaren, Reden über Vogelschisse und Schlussstriche zu halten.
Bei der Documenta in Kassel war es so!)
Mit dieser besonderen Verantwortung ist es aber auch nicht zu vereinbaren, die präzedenzlosen Verbrechen des Holocausts gegen andere Verbrechen, etwa
des Kolonialismus, aufrechnen zu wollen. Auch das gehört zur Wahrheit über unsere Verantwortung.
Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Wir sind heute in der Situation, dass über dem 75. Geburtstag der Schatten des Krieges liegt. Der Islamische Dschihad beschießt Israel mit Raketen.
Alle Versuche für Frieden und Aussöhnung sind bis heute gescheitert. Aber es bleibt auch unsere Verantwortung, diese weiter zu unternehmen. Denn in der Tat war
am Anfang in Palästina keine Wüste; dort lebten Menschen. Heute noch sind ein Fünftel der Staatsbürger Israels Araber.
Der 75. Jahrestag der Staatsgründung wird von vielen Palästinenserinnen und Palästinensern mit 75 Jahren Flucht und Vertreibung, als Nakba,
beschrieben. Für sie gehören zu diesen 75 Jahren auch 56 Jahre Besetzung des Westjordanlandes, die Annexion des Golan und Ostjerusalems, der Bau einer Mauer,
illegale Siedlungen. Für die Israelis gehören dazu Intifadas, Selbstmordattentäter in Bussen und Restaurants, Raketenangriffe auf Kindergärten. Auch hierfür
gibt es eine deutsche Verantwortung. Es ist falsch, die Nakba gegen den Holocaust aufzurechnen, wie es in vielen palästinensischen Kreisen bis heute üblich ist.
Ohne den präzedenzlosen Holocaust hätte es auch die Nakba nicht gegeben. Hieraus erwächst für uns Deutsche eine doppelte Verantwortung, nämlich der Einsatz für
eine Friedenslösung. Deswegen ist das, was die Bundesaußenministerin gestern mit auf den Weg gebracht hat – mit Jordanien, Frankreich und Ägypten einen neuen
Versuch für eine Zweistaatenlösung anzugehen –, die gelebte Verantwortung, die zu diesem Jubiläumstag passt.
Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
In meiner Jugend bewunderte ich die klassenlose Gesellschaft der Kibbuze und die moralische Kraft, die von ihr ausgeht. Die Antwort auf die
jahrhundertelange Verfolgung der staatenlosen Jüdinnen und Juden war eine gesellschaftliche Utopie gewesen. Diese gesellschaftliche Utopie konnte nach der
Gründung des jüdischen demokratischen Staates plötzlich praktiziert werden.
Ja, es gibt einen Widerspruch zwischen der universalistischen Idee der Demokratie und der Heimstatt der Juden; aber Israel lebt diesen Widerspruch
seit 75 Jahren. Dieser Tage gehen Hunderttausende Menschen in Israel auf die Straße zum Erhalt dieses Widerspruchs. Sie weigern sich, die zionistische
Gründungsidee des Staates Israel völkisch auflösen zu lassen. Ich wünsche mir, dass sie Erfolg haben. Es ist für die Existenz und die Sicherheit von Israel
entscheidend. Unsere Freundschaft und unsere Partnerschaft gelten den Menschen Israels, ihrer Demokratie und ihren Widersprüchen.
Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Nächste Rednerin: für die CDU/CSU-Fraktion Daniela Ludwig.
Beifall bei der CDU/CSU)