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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach dem Ersten Zionistenkongress in Basel im Jahre 1897 richtete Theodor Herzl an seine
politischen Weggefährten die berühmt gewordenen Worte: „Wenn ihr wollt, ist es kein Märchen.“ Was er meinte, war nicht mehr und nicht weniger als ein Heimatland
für verfolgte Jüdinnen und Juden auf der ganzen Welt, ein eigener Staat Israel.
Damals hat Herzl nur einen Wunsch geäußert; denn bis zur Staatlichkeit sollte es noch ein sehr langer Weg, ein Weg durch die Hölle werden. Die
Verwerfungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und das deutsche Menschheitsverbrechen des Holocaust standen dem jüdischen Volk zu diesem Zeitpunkt erst
noch bevor.
Als Israel dann am 14. Mai 1948 schließlich gegründet wurde, war es ein von allen Seiten bedrohtes Land; denn nur wenige Stunden nach Ausrufung der
Unabhängigkeit und der Anerkennung durch den amerikanischen Präsidenten Harry Truman erklärten gleich fünf arabische Staaten dem jungen Israel den Krieg. Sie
erklärten diesen Krieg mit dem Ziel der Auslöschung der zarten Pflanze der Unabhängigkeit.
Dass sich bis heute eine wehrhafte Demokratie im Nahen und Mittleren Osten gegen alle Widrigkeiten erfolgreich etabliert hat – mit Hightech, mit
lebendiger Zivilgesellschaft und mit weltoffener Lebensweise –, das ist eine politische und gesellschaftliche Leistung, die man auch heute noch nur als „hohe
Staatskunst“ bezeichnen kann.
Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD und der LINKEN)
Herzls Märchen wurde erst verspottet, dann bekämpft, und schließlich wurde es wahr. Aus seiner Vision ist eine beispiellose demokratische
Erfolgsgeschichte geworden. Wir gratulieren dem Staat Israel und seinen Bürgerinnen und Bürgern heute, zwei Tage vor dem eigentlichen 75. Jahrestag, zu dieser
Staatsgründung von ganzem Herzen.
Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD und der LINKEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist etwas Besonderes, dass wir als Deutscher Bundestag diesen Anlass hier im Reichstagsgebäude begehen können –
nicht einmal 2 Kilometer Luftlinie entfernt zum Bebelplatz, wo vor fast genau 90 Jahren der Wahnsinn der Bücherverbrennung stattfand – und dass wir sagen
können: Das Existenzrecht und die Sicherheit des Staates Israel zählen zum unverbrüchlichen und unverzichtbaren Kernbestand der Politik der Bundesrepublik
Deutschland und aller unserer staatlichen Institutionen.
Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie der Abg. Joachim Wundrak [AfD] und Dr. Dietmar Bartsch [DIE
LINKE])
Wir blicken in diesen Tagen gleichwohl mit einiger Sorge auf die israelische Innenpolitik. Die Regierung und die Abgeordneten im Parlament ringen um
die Regeln der Besetzung des Verfassungsgerichts. In der Folge finden Massendemonstrationen und Generalstreiks statt, und es werden ganz grundlegende
gesellschaftliche Debatten geführt: um die Identität des Staates und die Gewaltenteilung im demokratischen Rechtsstaat.
Ich konnte darüber bei meinem letzten Besuch in Israel mit Staatspräsident Herzog, mit dem Premierminister, mit dem Oppositionsführer und auch mit
vielen Vertretern der Zivilgesellschaft sprechen. Mein Eindruck ist: Dieses Ringen in Israel um die eigene Identität, um die staatlichen Institutionen, das ist
keine Schwäche des Systems, sondern ist Ausdruck der Stärke der israelischen Demokratie.
Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir wollen hoffen – und ich hoffe, wir dürfen alle hoffen –, dass Israel mit seiner lebendigen Demokratie und seiner wachen Zivilgesellschaft für sich
die richtigen Entscheidungen treffen wird.
Ich will Ihnen von einer weiteren Begegnung in Israel berichten, die mir in tiefer Erinnerung geblieben ist. Auf dem Militärstützpunkt Tel Nof werden
deutsche Soldaten von Angehörigen der israelischen Streitkräfte an der Heron-Drohne zu Piloten ausgebildet. Deutsche und israelische Soldaten leben und arbeiten
Seite an Seite für die Wehrhaftigkeit unserer Demokratien und den Einsatz für gemeinsame Werte in der Welt. Wer hätte am 14. Mai 1948, nur drei Jahre nach dem
Ende des Zweiten Weltkrieges, erahnen können, dass deutsche Soldaten einst auf israelischem Boden an einem gemeinsamen Waffensystem ausgebildet werden? Wer
hätte das gedacht, meine Damen und Herren?
Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD)
Dass ein solches Vertrauen zwischen unseren beiden Ländern wachsen konnte, erfüllt uns alle – so hoffe ich jedenfalls – mit großer Dankbarkeit.
Meine Damen und Herren, 75 Jahre Existenz des Staates Israel sind für uns Deutsche daher auch ein Moment, mit Demut und mit Dankbarkeit auf die
Annäherung und auf die Aussöhnung zwischen unseren beiden Ländern zurückzublicken, auf die Brücken, die gebaut wurden – nicht trotz, sondern wegen der dunklen
Kapitel der deutschen Geschichte.
Ich denke dabei vor allem an die Aufnahme der Gespräche zwischen Bundeskanzler Konrad Adenauer und Premierminister David Ben-Gurion. Bei ihrem ersten
Treffen im März 1960 in New York war es alles andere als absehbar, wie eine Aufnahme, geschweige denn eine Normalisierung der Beziehungen aussehen könnten. Die
Bilder dieses Treffens gingen um die Welt. Sie zeigen zwei Staatsmänner, die nicht etwa an endlos langen Tischen vorformulierte Monologe halten; sie zeigen zwei
Staatsmänner, die schon beinahe innig um echten Austausch und einen Blick in eine gemeinsame Zukunft bemüht sind. Und sie waren damit erfolgreich.
Der Historiker Michael Borchard sprach mit Blick auf die deutsche Geschichte bezüglich Israel und dieser Entwicklung seit 1948 das Wort von der
„unmöglichen Freundschaft“. Nach dem Zivilisationsbruch des Holocaust eine Annäherung ermöglicht zu haben, das ist in der Tat ein besonderes Verdienst vor allem
dieser beiden großen Staatsmänner.
Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der AfD)
75 Jahre Unabhängigkeit des Staates Israel, meine Damen und Herren, erinnern uns Deutsche aber auch an unsere eigene historische Verantwortung. Daraus
leitet sich ein dauerhafter Auftrag der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik ab, nämlich immer und überall auf der Welt einzutreten für ein starkes, freies
und demokratisches Israel, den einzigen demokratischen Leuchtturm in einer ansonsten von Autokratie, Terrorismus und Krieg geplagten Region.
Aber auch innenpolitisch dürfen wir in unseren Anstrengungen nicht nachlassen. Noch immer und leider immer häufiger grassiert in Deutschland
Antisemitismus, vor allem von rechts. Noch immer werden Jüdinnen und Juden in Deutschland wegen ihrer Herkunft und wegen ihres Glaubens diffamiert und bedroht.
Ich hoffe, ich kann für die sehr große Mehrheit hier im Deutschen Bundestag sagen: Dies darf in Deutschland nie wieder, egal aus welcher Richtung, Platz
bekommen.
Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der AfD)
Und ich will es sehr deutlich sagen: Auch Antisemitismus von links bleibt Antisemitismus.
Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der AfD)
Auch Antisemitismus, der im Gewand der Kunst daherkommt, bleibt Antisemitismus.
Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der AfD)
Und auch Antisemitismus, der von muslimischen Migranten vorgetragen wird, bleibt Antisemitismus, meine Damen und Herren.
Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der AfD)
Die wichtigen und notwendigen Schritte, die wir gemeinsam als demokratische Kräfte im Kampf gegen Antisemitismus in Deutschland unternommen haben,
müssen wir deshalb sehr konsequent weitergehen. Die Zustimmung zu der Aussage, dass Deutschland vor dem Hintergrund seiner Geschichte eine besondere
Verantwortung für das jüdische Volk hat, nimmt in unserer Bevölkerung messbar ab. Das muss uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, Anlass zu noch entschlossenerem
Handeln geben.
Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Diese jüdische Heimat – der Staat Israel – feiert nun heute sein 75-jähriges Bestehen. Dieser Tag erfüllt uns nicht nur mit Demut und Dankbarkeit,
sondern auch mit Freude – Freude darüber, dass aus dem von Theodor Herzl beschriebenen „Märchen“ Wirklichkeit geworden ist, dass unsere Gesellschaften neben der
gemeinsamen Verantwortung für die Erinnerung an die schmerzhafte Geschichte ein so enges Netz an Austausch und Freundschaften in der Gegenwart und für die
Zukunft verbindet, kurzum: dass auch die „unmögliche Freundschaft“ damit möglich geworden ist. Für dieses Glück der deutsch-israelischen Freundschaft sind wir
heute zutiefst dankbar.
Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD)
Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Gabriela Heinrich.
Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)