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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn wir ihn nicht hätten, dann müssten wir ihn gerade jetzt ganz schnell erfinden: den
Europarat. Er ist politisch. Zum Glück ist er politisch. Herr Kleinwächter, wenn Sie eine unpolitische Organisation suchen, dann sollten Sie die Augen aufmachen
bei der Jobsuche. Vor allem erschließt sich mir ohnehin nicht, was Antieuropäer im Europarat zu suchen haben.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und des Abg. Thomas Lutze [DIE LINKE])
Der Europarat ist die Herzkammer unserer freiheitlichen Demokratie. Er ist nicht nur das älteste Menschenrechtsparlament – Kollege Laschet hat es
gesagt –, sondern auch in stürmischen Zeiten unser Schutzschirm gegen den schwelenden Demokratieabbau, die aufflammende Unmenschlichkeit, den aufbegehrenden
Autoritarismus und die drohende Herrschaft des Stärkeren. Es ist gut, dass der Kanzler im Vorfeld des vierten Gipfels eine so prominente Rolle gespielt hat. Der
Kanzler hat mit seiner sehr frühen Teilnahmezusage nicht nur den Takt vorgegeben, sondern auch eine sehr positive Sogwirkung auf andere Staats- und
Regierungschefs ausgelöst. Mit der Teilnahme von Macron und den vorangegangenen Abstimmungen der Gipfelziele mit unseren französischen Freunden haben wir eine
solide Basis, um Reykjavík zu einem Erfolg zu machen.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir brauchen diesen Erfolg; denn wir leben in brandgefährlichen Zeiten. Der Krieg hat sich wieder in Europa eingenistet. Angesichts der russischen
Aggression lassen sich die wesentlichen Ziele des Gipfels in Reykjavík auf folgende Nenner bringen: erstens unsere Werte stärken, zweitens die Urteile des EGMR
vollstrecken und drittens die finanzielle Existenz des Europarats für die Zukunft absichern.
Wenn es um die Stärkung der Werte geht, werden wir auf dem Gipfel dafür werben, dass die EU als Ganzes der so wichtigen europäischen Konvention zum
Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten des Europarats beitritt. Das ist leider bislang noch nicht der Fall, sollte aber passieren, damit auch die
EU-Rechtsakte der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte unterworfen werden können. Da müssen wir dranbleiben.
Gestern war ein guter Tag für den Europarat und vor allem auch für die EU. Mit großer Mehrheit hat das EU-Parlament den Weg für die Ratifizierung der
Istanbul-Konvention endlich geebnet. Der Geburtsort dieser Konvention, die Gewalt gegen Frauen und Mädchen bekämpft, ist der Europarat. Ich habe mich sehr über
diese großartigen Nachrichten gefreut; denn auch für die EU gilt: Frauenrechte sind Menschenrechte, und die sind nicht verhandelbar.
Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)
Neben diesem Erfolg haben wir aber noch einiges andere zu besprechen. Wir müssen über die Vollstreckbarkeit von bindenden Urteilen des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte sprechen. In der letzten Sitzungswoche des Europarats in Straßburg wurde ein Bericht dazu besprochen, der die Missstände mit
Daten, Zahlen und Fakten unterlegt. Die Zahl der gefällten, aber nicht umgesetzten Gerichtsurteile liegt aktuell bei 6 256. Das ist nicht hinnehmbar. Viele
Länder wurden genannt. Russland, Ukraine, Rumänien, Türkei, Aserbaidschan und Ungarn sind in diesem Kontext traurige Rekordhalter. 70 Prozent aller nicht
vollstreckten Urteile verteilen sich auf diese genannten Länder.
Das ist ein gravierendes Problem, nicht nur für die Kläger/-innen, die meistens aus der Zivilgesellschaft kommen, sondern auch allgemein für die
Glaubwürdigkeit der Justiz in vielen Ländern Europas und darüber hinaus. Auch wenn es hier um den Bereich der Rechtsprechung geht, so wissen wir doch alle, dass
die Urteilsumsetzung sehr stark von den politischen Verhältnissen in den jeweiligen Mitgliedstaaten abhängt. Eine unabhängige Justiz ist der Grundpfeiler
unserer pluralistisch-demokratischen Grundordnung. In Reykjavík wird über klare Regeln und Maßnahmen zu reden sein, um denen Einhalt zu gebieten, die die
Rechtsprechung des EGMR ignorieren. Die Herrschaft des Rechts muss am Ende immer über das Recht des Stärkeren obsiegen.
Last, but not least müssen wir aber auch über Geld sprechen. Nachdem Russland zu Recht aus dem Europarat ausgeschlossen wurde, fehlen nun wichtige
Mitgliedsbeiträge. Auch wenn wir hier im Rahmen der Haushaltsverhandlungen als Bundestag ausgeholfen haben, muss künftig klar sein, dass alle Mitgliedsländer
ihre Beiträge erhöhen müssen, um den Europarat arbeitsfähig zu halten.
Wenn das Geld fehlt, können wichtige Wahlbeobachtungsmissionen – Herr Kuhle hat es gesagt –, wie sie jetzt in der Türkei anstehen, nicht mehr
durchgeführt werden. Meine Kolleginnen und ich machen uns direkt nach dieser Aktuellen Stunde auf den Weg in die Türkei unter der Delegationsleitung des
Kollegen Frank Schwabe.
Diese internationalen Wahlbeobachtungsmissionen genießen hohes Ansehen auf der internationalen Bühne. Der Europarat wacht darüber, dass Wahlen frei
und ordnungsgemäß ablaufen. Freie Wahlen sind der Garant für die Demokratie.
Ich hoffe, dass mein fünfminütiger Werbeblock für den Europarat, für Menschenrechte, für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vor allem bei allen
Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern Gehör gefunden hat. Und vielen Dank für die Bühne für diese einmalig geniale Institution.
Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Das Wort hat der Kollege Knut Abraham für die CDU/CSU-Fraktion.
Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Boris Mijatović [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])