Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Nationalversammlung der Paulskirche war der Berg, der zu lange kreißte, der die revolutionäre Stimmung, die 1848 in der Luft lag, leider verpasste und dem es nicht gelang, die von ihr erschaffene Reichsverfassung im Jahr darauf einzuführen. Das Ganze endete schließlich in einer blutigen Niederschlagung. Die Versammlung ist damit leider auch Synonym für verpasste Chancen. Der Nationalversammlung fehlten entscheidende Perspektiven. Die sogenannten einfachen Leute waren kaum bis gar nicht vertreten; ebenso wenig war die weibliche Hälfte der Bevölkerung dabei. „Wo Sie das Volk meinen, da zählen die Frauen nicht mit“, erklärte die Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Louise Otto. Die wenigen Frauen, die in der Paulskirchenversammlung anwesend waren, hatten kein Wahlrecht, und ihre Belange wurden nicht gehört. Allerdings steht die Versammlung heute auch für die große Idee der persönlichen und politischen Freiheitsrechte und für die Gleichheit aller vor dem Gesetz. Der Grundrechtskatalog stellte einen Paradigmenwechsel dar und prägte die deutsche Gesetzgebung bis hin zum Grundgesetz. Das Recht auf Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit und Versammlungsfreiheit, auch Gewerbefreiheit, Freizügigkeit, die Freiheit von Wissenschaft und Lehre – das ist das große Vermächtnis der Paulskirche. Damit war in der Welt, wofür auch heute – ja, heute – überall Menschen auf die Straßen gehen und gehen müssen: für Meinungsfreiheit, für Pressefreiheit, für das freie Wort, für die freie Kunst, einzufordern, dass niemand über dem Gesetz steht, für die Freiheit, Kritik zu üben am Handeln der Mächtigen. Und dafür werden viele auch heute – oder heute mehr denn je – auf der ganzen Welt, von Belarus bis Iran, verhaftet, verfolgt und auch getötet. Heute, in Zeiten multipler Krisen, sind die Freiheitsrechte unter Druck, auch bei uns. Insgesamt, so berichtet Reporter ohne Grenzen, haben Übergriffe auf Journalistinnen und Journalisten in Deutschland zugenommen. Einschüchterungsversuche sind an der Tagesordnung. Wenn der Parteichef der größten Bundestagsfraktion, Herr Friedrich Merz, auf einem Parteitag den Vertreterinnen und Vertretern der freien Presse zu Beginn höhnisch zuruft: „Mit Ihnen werden wir uns später liebevoll beschäftigen“, dann nenne ich das einen Tiefpunkt unserer Demokratie. Aber es ist nicht der Tiefpunkt; denn wenn man nach Tiefpunkten sucht, dann kommt immer die CSU um die Ecke und geht noch weiter runter. In den 60 Jahren meines Lebens als Niederbayer bin ich einiges von den Lodenlumpen in Ihrer Partei gewohnt. Aber was Sie sich beim Besuch von DeSantis, dem Gouverneur von Florida, der die Pressefreiheit aushöhlen will, geliefert haben, stellt das, was man aus der Vergangenheit von Strauß, Tandler und den anderen Amigos kennt, weit in den Schatten. Dafür sollten Sie sich schämen! Meine Damen und Herren, die Freiheitsrechte in der Demokratie müssen aktiv verteidigt werden. Denn Demokratie bezieht ihre Legitimation und ihre Kraft nicht aus Gleichgültigkeit, sondern aus der Urteilskraft mündiger Bürger/-innen. Sie zu stärken, ist gerade jetzt entscheidend, insbesondere angesichts des russischen Kriegs in unserer unmittelbaren Nachbarschaft. Es ist ein Krieg gegen Freiheitsrechte, gegen die Selbstbestimmungsrechte der Ukraine, gegen ihre demokratisch gewählte Regierung und damit auch gegen unsere Werte, gegen die Demokratie. Meine Damen und Herren, der US-amerikanische Schriftsteller James Baldwin verstand seine Aufgabe darin – ich zitiere –, über die Welt zu sprechen, wie sie ist, und über so viel Wahrheit zu sprechen, wie man ertragen kann. „Menschen sind so frei, wie sie es sein wollen“, schrieb Baldwin. Diesen Willen zur Freiheit zu schützen, ist unsere Aufgabe als Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Ich danke Ihnen.