- Bundestagsanalysen
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich vor 20 oder 30 Jahren gerne politisch engagieren und Kontakt aufnehmen wollte mit einem Abgeordneten, mit einer Partei, mit einer Fraktion, dann musste man damals ins Telefonbuch schauen oder wahlweise in die Gelben Seiten, man musste zum Telefonhörer greifen oder sogar einen Brief schreiben.
Ging! Ja, das kann man alles machen! Geht auch heute noch!)
Heute hat sich das glücklicherweise geändert. Die Möglichkeiten, politisch zu partizipieren, sind im digitalen Zeitalter umfänglicher geworden. Man kann von jedem Ort der Welt aus recherchieren. Man kann Kontakt aufnehmen mit seinem Wahlkreisabgeordneten oder seiner Wahlkreisabgeordneten. Man kann kritisieren. Man kann Demonstrationen organisieren und viele andere Dinge mehr. Ich würde mir wünschen, dass noch mehr Menschen innerhalb des Rahmens, den wir in unserer parlamentarischen repräsentativen Demokratie haben, von den vielfältigen Möglichkeiten der Beteiligung Gebrauch machen würden, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass dieses politische System, die repräsentative parlamentarische Demokratie, allen anderen Strukturen und Modellen, Konflikte in unserer Gesellschaft zu kanalisieren und Entscheidungen herbeizuführen, überlegen ist.
Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Abgeordnete, die in freier und geheimer und gleicher Wahl auf Zeit mit einem Mandat ausgestattet werden, müssen sich gegenüber der Öffentlichkeit, müssen sich gegenüber den Medien, müssen sich in sozialen Medien immer wieder, tagtäglich neu, rechtfertigen und erklären und sich verantworten.
Außer Andreas Scheuer!)
Und der Souverän, der Wähler, wählt sie wieder in dieses Mandat oder tut dies eben nicht, meine Damen und Herren. Auf jeden Fall macht die Übertragung von politischer Verantwortung auf gewählte Abgeordnete sie politisch haftbar für ihre Entscheidungen. Das ist Kernelement unserer Demokratie, und dieses Prinzip muss ein selbstbewusstes Parlament wie der Deutsche Bundestag auch selbstbewusst vertreten, verehrte Kolleginnen und Kollegen.
Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Per Losentscheid bestimmte Mitglieder eines Rates hingegen müssen niemandem gegenüber Rechenschaft ablegen. Sie mussten und sie müssen sich keinen Wahlen stellen und sind weder der Öffentlichkeit noch dem Wähler irgendeine Erklärung schuldig. Deswegen muss ihre Funktion darauf begrenzt sein, denjenigen, die die Entscheidung zu tragen haben, sie zu fällen haben und sich hierfür auch rechtfertigen müssen, tatsächlich nur beratend zur Seite zu stehen, und sie dürfen keine eigenen weitergehenden Kompetenzen erhalten, meine Damen und Herren.
Ich sage es ganz ausdrücklich: Nur weil jeder Mensch sich auch ernährt, heißt das nicht, dass er besondere Kompetenzen besitzen muss im Bereich der Lebensmittelerzeugung oder im Bereich der Tierhaltung. Gerade wenn es um Fragen der Ernährung geht, meine Damen und Herren, wird der Nutzen eines solchen Rates davon abhängig sein, dass die Empfehlungen, die er am Ende in seinem Abschlussbericht formuliert, auch tatsächlich pragmatisch und wahrhaftig sind. Wir hören es zwar immer wieder, dass immer mehr Menschen erklären, sie seien Flexitarier, Veganer oder Vegetarier; aber die tatsächlichen Absatzzahlen des Einzelhandels zeichnen ein ganz anderes Bild. Und immer mehr Menschen behaupten, sie wären gerne bereit, für Lebensmittel, für die Tiere nach bestimmten, noch höheren Standards gehalten werden, auch einen höheren Preis zu bezahlen. Doch die Realität zeigt wiederum, dass das Gegenteil der Fall ist und in den allermeisten Fällen die Menschen tatsächlich zum preisgünstigsten Produkt greifen.
Wenn ein Rat zu solchen Empfehlungen kommt, nur zusätzlich die Standards zu erhöhen, dann – das sage ich Ihnen – wäre er tatsächlich überflüssig. Vielmehr muss das, was da im Ergebnisbericht zu Papier gebracht wird, tatsächlich auch die realen Wünsche der Mehrheit unserer Verbraucher in diesem Lande widerspiegeln, sonst ist dieser Rat wertlos, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU
Zuruf von der CDU/CSU: Sie müssen jetzt nur noch die Kurve kriegen, Herr Hocker!)
Ich sage es ganz ausdrücklich: Demokratie besteht nicht darin, möglichst unmittelbar und postwendend jedem Wunsch zu folgen, der mitunter von einer lauten Minderheit zum Ausdruck gebracht wird, während die manchmal schweigende Mehrheit vielleicht ganz andere Überzeugungen hat. Deswegen gehören konkrete politische Entscheidungen auch in Zukunft zwingend in die Hände von Parlamentariern, die sich ihre Meinung aus Expertenwissen wie auch aus Gesprächen mit jedermann und jederfrau bilden und die sich Wahlen und dem Wähler, nicht aber dem Würfel stellen müssen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Das Wort erhält für Die Linke Gökay Akbulut.
Beifall bei der LINKEN)