Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin Faeser, ich wünsche Ihnen bei Ihrer schwierigen, verantwortungsvollen Aufgabe zunächst alles Gute, Erfolg und auch das notwendige Glück im Interesse unseres Landes. Frau Ministerin, Sie haben am Anfang, bei Ihrer Ernennung gesagt: „Sicherheit ist eine Frage sozialer Gerechtigkeit.“ Diesen Satz kann ich voll und ganz unterstreichen. Nur leider findet sich von diesem Satz in Ihrem Koalitionsvertrag relativ wenig. Deutschland braucht Fachkräftezuwanderung, ja, es lässt aber aufhorchen, dass Sie im Koalitionsvertrag allgemein von „Arbeitskräfteeinwanderung“ sprechen. Dazu passt, dass Sie die Hürden für die Anerkennung von Berufsabschlüssen senken wollen. Das ist nichts anderes als ein Senken der Qualifikation. Sie wollen die Gleichwertigkeit der Berufsabschlüsse, wie sie im Fachkräfteeinwanderungsgesetz steht, schleifen. Das ist nicht sozial, weil es unfairen Wettbewerb um die Arbeitsplätze bedeutet und weil geringere Qualifikation ein höheres Risiko für die Einwanderung in die Sozialsysteme bedeutet. Bei Fachkräften geht es um die Menschen, die wir brauchen, die unsere Wirtschaft braucht. Bei Flucht und Asyl geht es um Menschen, die uns, die unseren Schutz brauchen. Diese Unterscheidung ist keine Banalität – es ist die entscheidende, vielleicht sogar die einzige Weichenstellung, die wir tatsächlich für die Steuerung und die Begrenzung illegaler Migration haben. Genau dieses Steuerungsinstrument wollen Sie von der Ampel aufgeben, indem Sie einen allgemeinen Spurwechsel einführen. Zusammen mit anderen Vorhaben – Ausweitung des Familiennachzugs, Ausweitung der Asylbewerber- und Gesundheitsleistungen, vieles andere – schaffen Sie weitere Anreize, nach Deutschland zu kommen, insbesondere im Rahmen der Sekundärmigration. Wir sind schon heute das Land in der gesamten westlichen Welt, das bezogen auf seine Bevölkerung die meisten Flüchtlinge aufnimmt. Sie verstärken dies noch, und das bedeutet mehr soziale Spannungen und weniger soziale Gerechtigkeit. Sie schreiben im Koalitionsvertrag, Ihr Ziel sei ein „Paradigmenwechsel“ hin zu einem „modernen Einwanderungsland“. Mich stört dabei keineswegs der Begriff „Einwanderungsland“. Ja, das sind wir faktisch, und bei den Fachkräften wollen wir das auch. – Nein, das ist kein Wandel. – Aber was nicht passt, ist das Attribut „modern“, Herr Kollege Kuhle; denn Sie haben den Anschluss verpasst. Alle anderen europäischen Länder rennen nämlich in eine andere Richtung, als Sie von der Ampel es vorhaben. Der dänische Innenminister, ein Sozialdemokrat, sagt: Offene Grenzen und sozialer Wohlfahrtsstaat passen nicht zusammen. Die Länder Europas, egal welcher Couleur – Schweden, Österreich, Frankreich, Dänemark –, alle haben seit 2015 ihre Migrationsgesetzgebung restriktiver ausgestaltet. Sie wollen einen Paradigmenwechsel zurück in die Vergangenheit. Das bedeutet einen Rückschritt, nicht das, was unsere Vorstellungen waren, was die die Politik der letzten Jahre war, Herr Kollege Kuhle. Sie führen das auch in ganz anderen Bereichen fort, beispielsweise im Bereich der Personen mit ungeklärter Identität. Da sind Sie bereit, Ihrer Ideologie sogar Sicherheitsinteressen unterzuordnen, indem Sie beispielsweise den Personen, die auch ihren Pass weggeworfen haben oder deren Identität sonst wie nicht geklärt ist, die Möglichkeit geben, eine eidesstattliche Erklärung abzugeben. Ich glaube, hier sind viele Anwälte. Frau Ministerin, wir beide sind Rechtsanwälte, und ich denke, wir wissen um die begrenzte Beweiskraft einer eidesstattlichen Erklärung. Deswegen ist dieses Vorhaben in Ihrem Koalitionsvertrag bestenfalls naiv, aber eher eine Realitätsverweigerung. Das ist nicht nur unsozial, das ist gefährlich. Sie schreiben dann zur inneren Sicherheit: „Deutschland ist eines der sichersten Länder der Welt.“ Danke! Ja, so ist es. Wir nehmen dies als Kompliment an. Wir haben die letzten Jahre die Verantwortung für die Sicherheit in Deutschland maßgeblich getragen. Und wir haben alles dafür getan, um die Sicherheitsbehörden ausreichend mit Personal auszustatten und ansonsten gut zu versorgen, eben auch mit rechtlichen Befugnissen. Wir haben bei unseren Koalitionspartnern gebohrt, zuletzt der SPD einige Maßnahmen abgerungen. In dieser Koalition bohrt niemand mehr, in dieser Koalition wird nicht gerungen; alle sind sich einig. Der ganze Koalitionsvertrag trieft geradezu vor Misstrauen gegenüber den Sicherheitsbehörden, den Polizistinnen und Polizisten, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es gibt mehr Kontrolle – ja! –, nur nicht bei den Kriminellen und bei den Tätern, sondern bei unserer Polizei: Polizeibeauftragte, Kennzeichnung, mehr Datenschutz, mehr Restriktionen, weniger Vertrauen. Das ist ein Koalitionsvertrag, der nicht das Vertrauen gegenüber den Polizistinnen und Polizisten ausspricht. Im Gegenteil: Sie legen der Polizei Fesseln an, und das ist nicht sicher. Frau Ministerin, Sicherheit ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, aber es ist auch ein Grundbedürfnis aller Menschen. Sie sind dafür verantwortlich. Deswegen meine Bitte: Hören Sie auf Ihr Haus, hören Sie auf Ihre Fachleute in den einzelnen Behörden! Forderungen nach mehr Befugnissen bei der inneren Sicherheit kommen dort von den Menschen, die sich darum Sorgen machen. Ihnen wünsche ich, dass Sie den Mut haben, die Fesseln, die Ihnen der Koalitionsvertrag anlegt, abzulösen. Herzlichen Dank.